Passagiere im Flügel

Unkonventionelle Formen sollen Flugzeuge sparsamer machen. Doch bislang wurde jede Einsparung vom wachsenden Luftverkehr aufgefressen.

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Luftfahrtindustrie rühmt sich, die einzige Branche zu sein, die sich ohne Druck von außen bemüht, ihren Treibhausgasausstoß zu vermindern. Schließlich macht der Spritverbrauch ein Drittel der laufenden Kosten eines Flugzeugs aus. Und tatsächlich ist jede neue Flugzeuggeneration einige Prozentpunkte sparsamer als die vorangegangene. Ein besonders drastisches Beispiel liefert die 1959 in Dienst gestellte US-amerikanische DC-8. Etliche Exemplare des ersten für Nonstop-Flüge über den Atlantik tauglichen Jets bekamen in den 1970er Jahren neue Triebwerke. Mit diesen verbesserten Triebwerken verbrauchten die Flugzeuge 20 Prozent weniger Treibstoff als davor.

Der Haken dabei: In den 1960er Jahren hatte der Linienpassagierverkehr weltweit jährliche Wachstumsraten von mehr als zehn Prozent. Selbst zwischen 1995 und 2005 waren es nach Angaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) noch durchschnittlich 5,2 Prozent pro Jahr. Der Treibstoffverbrauch stieg dabei immer noch um zwei bis drei Prozent. Die Effizienzgewinne hielten also nicht Schritt mit dem Wachstum der Passagierflüge. Zwar schrumpfte das Wachstum laut DLR im vergangenen Jahr auf unter zwei Prozent, doch ist das wohl weniger einem Umdenken als der unsicheren ökonomischen Lage geschuldet.

Experimente mit neuen Formen

Es bleibt also viel zu tun. Um die mit dem erwarteten Wachstum verbundenen negativen Effekte für das Klima zu begrenzen, sind bei der Effizienzsteigerung weitere Schritte nötig. So sind Verbesserungen bei der Effizienz der Triebwerke bei den derzeitigen Verbrennungstechniken mit höherem Ausstoß von ebenfalls umweltschädlichen Stickoxiden verbunden.

Eine wichtige Stellschraube ist die Aerodynamik, also die Optimierung der Flugzeugform dahingehend, dass sie möglichst wenig Luftwiderstand erzeugt. Schon seit Jahren wird mit sogenannten Blended Wing Bodys - einer Mischung aus herkömmlichem Rumpf und Nurflügler - experimentiert. Modelle solcher Flugzeuge wurden bereits von der US-Luft- und Raumfahrtagentur NASA getestet. Ihr Nachteil: In dem dreieckförmigen Flügel-Rumpf wird die notwendige Druckkabine relativ breit und flach und damit schwerer als bei den aktuellen Röhren-Kabinen. Zudem fällt bei den meisten Plätzen der Blick nach draußen weg.

Die Lösung dieses Dilemmas könnte ein frühere Student der Technischen Universität Berlin gefunden haben. Der kam 2015 im Praktikum beim Konzern Airbus in Hamburg auf eine Idee, dass die Vorteile der röhrenförmigen Rümpfe mit denen des Nurflügelkonzepts verbindet. Sein »fliegendes V« ist ein V-förmiger dicker Flügel mit seitlichen Steuerflächen (siehe Grafik). Justus Benads Entwurf überzeugte Airbus und so meldete der Konzern mit Justus Benad als Erfinder ein Patent für diese Konfiguration an.

Die Idee, Passagiere im Flügel unterzubringen ist zwar nicht neu - die 1929 gebaute Junkers G 38 bot bereits einige Plätze im inneren Teil der Flügel mit Blick nach vorn -, doch flogen die damaligen Passagierflugzeuge noch nicht so hoch, dass eine Druckkabine nötig gewesen wäre. Bei den heute üblichen Reiseflughöhen von über 8000 Metern würden die Passagiere allerdings ersticken, wenn nicht durch eine Druckkabine Ausgleich ermöglichen würde. In Benads Modell sind deshalb in den vorderen Flügelkanten zwei Röhren untergebracht - eine größere für die Passagiere und dahinter eine für Gepäck und Luftfracht. Inzwischen wird das Flugzeug an der niederländischen TU Delft im Maßstab 1:20 für Flugtests gebaut, finanziell unterstützt von der niederländischen Fluggesellschaft KLM. Erfinder Benad forscht inzwischen in Zusammenarbeit mit dem Triebwerkshersteller Rolls Royce an Verfahren für bessere Turbinenbauteile. Der Erstflug ist für Oktober 2019 geplant, wenn die KLM ihr 100-jähriges Jubiläum feiert.

Weniger Ausstoß

Wenn sich der Versuch bewährt, hätte »Flying V« mit 65 Metern die gleiche Spannweite wie der Airbus A350, wäre aber kürzer. Dennoch bietet es Platz für ebenso viele Passagiere, nämlich 314, sowie ein Frachtvolumen von 160 Kubikmetern. Wegen der geringeren Oberfläche ist der Windwiderstand geringer: 20 Prozent weniger Treibstoffverbrauch. Bis das neue Flugzeug aber in Serie geht, wird es noch etwas dauern. Noch ist viel an Forschung notwendig.

Die Luftfahrt trägt derzeit 2,5 Prozent zu den vom Menschen gemachten Treibhausgasen bei. Prognosen erwarten einen Anstieg auf zehn Prozent. Aktuell liegen die Emissionen pro Person und Kilometer eineinhalb Mal so hoch wie bei Autos. Neben verbesserten Flugzeugkonstruktionen und alternativen Antriebskonzepten sind jedoch auch Ideen nötig, um den Flugzeugverkehr langfristig zu reduzieren.

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