Salvini geht aufs Ganze

Italiens Lega-Chef fordert so schnell wie möglich Neuwahlen, um Regierungschef zu werden.

  • Anna Maldini
  • Lesedauer: 5 Min.

Jetzt ist es soweit: Nach Wochen der permanenten Streitigkeiten und Beleidigungen innerhalb der gelb-grünen Regierung, die sich aus der 5-Sterne-Bewegung und der rechtsextremen Lega zusammensetzt, hat Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini nun den Schlussstrich gezogen. Er forderte den parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte auf, »sofort« seinen Rücktritt einzureichen und Italien »so schnell wie möglich« zu Neuwahlen zu führen. Salvini, dessen Partei bei Umfragen bei etwa 35 Prozent liegt, will - so sagte er - Ministerpräsident werden und »alle Macht« auf sich vereinen.

Ministerpräsident Conte hat sofort erklärt, dass es dem Lega-Chef nicht zustehe, zu sagen, wann wer und wie jemand zurückzutreten habe. Er will auf jeden Fall das Parlament einbinden und sich einer Vertrauensabstimmung stellen. Erst danach würde er sein Mandat zurück in die Hände von Staatspräsident Sergio Mattarella legen. Und hier haben wir schon das nächste Problem: In Italien sind derzeit Parlamentsferien und auch beim besten Willen wird es mindestens zehn Tage dauern, bis es zur Abstimmung kommt. Sollte diese, wie erwartet, negativ für die Regierung ausfallen, kann erst dann der Staatspräsident tätig werden. Er wird Konsultationen mit den Parteien führen und wahrscheinlich jemanden beauftragen, eine andere Mehrheit im Parlament zu finden. Sollte auch das scheitern, kann er Giuseppe Conte bitten, bis zu den Wahlen für die laufenden Angelegenheiten im Amt zu bleiben oder auch einen »Technokraten« beauftragen, das Land zu den Urnen zu führen und gegebenenfalls vorher noch das Haushaltsgesetz auszuarbeiten, das am 15. Oktober der EU vorgelegt werden muss. Wie sich Mattarella auch immer entscheiden wird: Salvini hat keinen Einfluss darauf und vor Ende Oktober kann nicht gewählt werden.

Wie ist es zu dieser schon lange absehbaren Krise gekommen? Die jetzige Regierung ist seit dem 1. Juni 2018 im Amt und basiert auf einem Koalitionsvertrag zwischen zwei sehr unterschiedlichen Parteien, der eigentlich nur in den ersten Wochen konfliktfrei abgearbeitet wurde. Alles, worüber man sich nicht einigen konnte, wurde erst einmal aufgeschoben. Doch das wurde immer schwieriger. Die erste große Krise gab es nach den Europawahlen im Mai. Da kehrte sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Regierungsparteien um: Die 5-Sterne-Bewegung halbierte praktisch ihre Stimmen und die Lega verdoppelte sie. Luigi Di Maio, Arbeitsminister und politischer Chef der 5-Sterne, verschob seine eigenen Themen immer mehr nach hinten und unterstützte stattdessen die äußerst umstrittenen Maßnahmen des Innenministers, angefangen bei den rechtsextremen »Sicherheitsverordnungen«, die die Rettung von Migranten bestrafen, aber auch das Demonstrationsrecht einschränken. Das führte wiederum zu immer größeren Bauchschmerzen innerhalb der 5-Sterne-Bewegung mit vielen Austritten, auch aus der Fraktion.

Die Diskussion über die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Turin und Lyon brachte das Fass zum Überlaufen. Eines der wichtigsten Versprechen der 5-Sterne bei den vergangenen Wahlen, bei denen sie über 32 Prozent der Stimmen erhielten, betraf diese Eisenbahntrasse und besonders den Teil, der durch das Susa-Tal führt, wo die Bewohner seit Jahren versuchen, den Bau zu verhindern. Sie halten - und die Bewegung stimmte ihnen zu - das Projekt für unnötig, überteuert und stark umweltschädigend. Di Maio hatte immer wieder versprochen: »Mit uns wird die Strecke nicht gebaut.« Die Lega hingegen ist entgegengesetzter Meinung.

Auch eine »technische Kommission«, die von der Regierung eingesetzt wurde, lehnte das Projekt ab. Doch die EU, die schon beträchtliches Geld vorgeschossen hatte, pochte auf die Fertigstellung. Als dann auch noch klar wurde, dass die italienische Regierung bei einem Stopp hohe Strafen zahlen müsste, beschloss Ministerpräsident Conte, das Parlament entscheiden zu lassen. Die Abstimmung fand vergangene Woche statt und endete mit einen Sieg der Lega, die zusammen mit der sozialdemokratischen PD und den rechten Oppositionsparteien für den Bau der Trasse stimmte. Die 5-Sterne-Bewegung unterlag. Wieso gerade dieser Sieg Salvini bewogen haben soll, die Zusammenarbeit mit der Bewegung aufzukündigen, bleibt sein Geheimnis. Es ist anzunehmen, dass dies nur ein Vorwand war, um die derzeit günstigen Umfragewerte schnellstmöglich in konkrete Stimmen umzumünzen.

Aber es gibt auch eine weitere These, die von einigen Beobachtern vertreten wird. Matteo Salvini und seine Lega stecken mitten in der sogenannten Russland-Affäre. Vor einigen Wochen wurde ein Telefonmitschnitt veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass ein enger Mitarbeiter des italienischen Innenministers versucht hat, einen Erdöl-Deal mit russischen Unternehmern einzufädeln, bei dem viel Schwarzgeld in die Taschen der Lega hätte fließen sollen. Das Geschäft kam wohl nicht zustande und Salvini hat sich bisher immer hinter einem allgemeinen »Ich weiß von nichts« verschanzt. Aber die Staatsanwaltschaft von Mailand ermittelt. Es könnte also sein, dass der Innenminister ahnt oder sogar weiß, dass irgendwann weitere brisante Einzelheiten ans Licht kommen werden, die auch ihn betreffen. Als Ministerpräsident hätte er mehr Möglichkeiten, einen Skandal zu verschleiern und könnte sich besser hinter einem guten Wahlergebnis verstecken. Aber das ist nur eine der vielen Hypothesen, über die in Italien diskutiert wird.

Bis Mitte Oktober muss Italien in Brüssel einen Haushaltsentwurf präsentieren - und dafür ist eine handlungsfähige Regierung notwendig. Dieser Zeitdruck könnte Präsident Mattarelli bewegen, schneller als in der Vergangenheit Neuwahlen auszurufen, die auch die Opposition fordert. All das spielt Salvini bei seinem Machtpoker in die Hände. Nur die Mailänder Börse reagierte extrem negativ auf die Krise: Der Spread, die Zinsdifferenz, zwischen italienischen und deutschen Staatspapieren, steigt.

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