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Erneut Jude in Charlottenburg-Wilmersdorf angegriffen

JFDA-Vorsitzende Lala Süsskind fordert Konsequenzen von Politik und Justiz / Innenstaatssekretär Torsten Akmann will Runden Tisch gegen Antisemitismus

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Der Berliner Senat will stärker gegen Antisemitismus vorgehen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) kündigte am Mittwoch einen eigenen Antisemitismus-Beauftragten für die Polizei an. Er soll Polizisten schulen, antisemitische Vorfälle zu erkennen. Derweil gab es am Dienstag in Berlin-Charlottenburg erneut einen Angriff auf einen Juden. Dabei wurde ein 55-Jähriger, der an seiner Kleidung als Jude zu erkennen gewesen sei, von Unbekannten zu Boden gestoßen und verletzt, teilte die Polizei mit.

Das Opfer ist Vorstandsmitglied des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA). Die JFDA-Vorsitzende Lala Süsskind forderte am Mittwoch Politik, Polizei und Justiz auf, endlich Konsequenzen zu ziehen und entschlossen vorzugehen: «Es reicht.» Die frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sagte, «antisemitische Übergriffe nehmen immer mehr überhand .

Geisel sagte der »Berliner Zeitung« (Mittwoch), der künftige Beauftragte solle Polizisten »noch stärker schulen, antisemitische Vorfälle zu erkennen, entsprechend einzugreifen und diese Thematik offen anzusprechen«. Der neue Beauftragte soll noch im August vorgestellt werden, sagte ein Sprecher der Senatsinnenverwaltung auf Anfrage.

Zudem plant Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD), einen Runden Tisch gegen Antisemitismus einzuberufen. Daran teilnehmen sollen neben Vertretern der Jüdischen Gemeinde und jüdischer Organisationen auch Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Sicherheitsbehörden. Einen Termin gibt es noch nicht.

Bereits Ende Mai wurde der Politikwissenschaftler Lorenz Korgel zum vorläufigen Berliner Antisemitismus-Beauftragten berufen. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat seit September 2018 mit Oberstaatsanwältin Claudia Vanoni eine eigene Beauftragte für das Sachgebiet.

Weiter kündigte Geisel an, bei den Motiven der Täter antisemitischer Straftaten künftig stärker zu differenzieren. »Alle ungeklärten Fälle dem Rechtsextremismus zuzuordnen, wird der tatsächlichen Motivlage ganz offensichtlich nicht gerecht.« Allerdings sei diese Problematik der Polizeistatistik kein alleiniges Berliner Phänomen. Die Polizeien würden länderübergreifend daran arbeiten.

Geisel betonte, es sei sehr schwer, »die Straftaten in diesem Bereich zahlenmäßig auseinanderzuhalten«. Es gebe einen deutschen Antisemitismus, »von dem wir leider feststellen müssen, dass er nie weg war«. Und es gebe in Berlin »Menschen aus 180 Nationen, die zu einem gewissen Teil auch mit Antisemitismus sozialisiert wurden und ihn nicht einfach ablegen«, unterstrich der SPD-Politiker mit Blick auf einen sogenannten importierten Antisemitismus.

Ende Juli hatte der antisemitische Angriff auf den Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal für Entsetzen und Empörung gesorgt. Teichtal war ebenfalls im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf angegriffen worden. Bei einem Solidaritätsgebet hatte am vergangenen Freitag unter anderem Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zum entschiedenen Engagement gegen Antisemitismus in Deutschland aufgerufen.

Bei dem Vorfall am Dienstag musste das Opfer ins Krankenhaus gebracht werden. Der 55-jährige war nach eigener Schilderung gegen 16 Uhr zu Fuß am Stuttgarter Platz unterwegs, als eine von zwei hinter ihm laufenden Personen ihn plötzlich in den Rücken gestoßen habe. Daraufhin sei er gestürzt, die Angreifer flüchteten. Von zu Hause aus habe der Angegriffene wegen starker Schmerzen im Bein und am Kopf die Rettungskräfte alarmiert. Der Polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen.

Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin ist im vergangenen Jahr laut Informationen der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin vom April weiter gestiegen. Insgesamt wurden 1.083 antisemitische Vorfälle im Jahr 2018 in der Bundeshauptstadt erfasst, 132 mehr als im Vorjahr (951). epd/nd

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