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Von Österreich lernen
Kaum eine Fachtagung in Deutschland über den Wandel der Arbeitswelt kommt ohne das Modell der Bildungskarenz aus
Digitalisierung und Automatisierung verändern die Arbeitswelt in rasantem Tempo. Von der Weiterbildung wird es maßgeblich abhängen, ob Beschäftige von diesen Umbrüchen überrollt werden oder ob sie sie gestalten können. Nur, wer soll’s bezahlen? Der Betrieb, der Fachleute braucht? Der Einzelne, der - wie es heißt - ja auch die »Bildungsrendite« einfährt? Oder der Staat, weil er gesellschaftliche Verantwortung trägt? Die Finanzierung ist zentral für die Entscheidung, eine Weiterbildung zu beginnen. Wer sichert den Lebensunterhalt während einer längeren Qualifizierung? Aus dem Job auszusteigen - das muss man sich leisten können.
Österreich hat eine Antwort auf dieses Problem, die in Deutschland auf großes Interesse stößt. Kaum eine Fachtagung über den Wandel der Arbeitswelt, bei der nicht die dort bezahlte Bildungskarenz und Bildungsteilzeit als Erfolgsmodelle vorgestellt werden. Ob Weiterentwicklung im bisherigen Berufsfeld oder völlige Umorientierung - beides ist damit möglich. Diese Offenheit ist in der deutschen Weiterbildungskultur derzeit undenkbar. Schon Vorschläge von Gewerkschaften, etwa Kurzarbeitergeld mit Qualifizierung zu verbinden, werden von Arbeitgeberverbänden rundweg abgelehnt, verteufelt als öffentliche Einmischung in Unternehmensentscheidungen, Qualifizierung »ins Blaue hinein«.
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Mario Patuzzi, DGB-Referent für Weiterbildung, sieht das anders. »Von Österreich kann man lernen«, sagt er und verweist auf die Freistellung für die Weiterbildungszeit und die Kompensation des fehlenden Arbeitseinkommens. »Auch wenn dieses Weiterbildungsgeld nicht üppig ist, sorgt es zumindest etwas für Ausgleich.« Der DGB fordert eine bundesgesetzliche Regelung für mehr Bildungszeit mit Rechtsanspruch für die Beschäftigten und öffentlicher Finanzierung. Zuletzt wurde im Rahmen der nationalen Weiterbildungsstrategie intensiv über das Modell Österreich diskutiert. Zum Bedauern des DGB blockierte jedoch das CDU-geführte Bildungsministerium solche Ansätze, das Arbeitsministerium habe sich hingegen offen gezeigt.
Das Modell ist teuer. In Österreich beliefen sich die Ausgaben für die Bildungskarenz im Jahr 2017 auf rund 180 Millionen Euro. In Deutschland leben fast zehnmal so viel Menschen. Würde das Instrument hier ebenso gut angenommen, wäre man schnell bei fast zwei Milliarden Euro. Doch DGB-Experte Patuzzi will lieber Bildung bezahlen als Arbeitslosigkeit: »Die bezahlte Freistellung für Weiterbildung ist zwar teuer, aber Studien zeigen, dass sich diese Investitionen lohnen - gerade angesichts der zu erwartenden Umbrüche der Arbeitswelt, Stichwort Energiewende und Digitalisierung.«
Die grünennahe Böll-Stiftung schlägt zur Finanzierung von Weiterbildungen eine neue Arbeitsversicherung vor, gespeist zur einen Hälfte paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und zur anderen Hälfte durch einen Steuerzuschuss in gleicher Höhe. Würden so insgesamt zwei Prozent der Bruttolohnsumme eingezahlt, stünden bis zu 16 Milliarden Euro zur Verfügung, rechnen die Autoren der Studie »Weiterbildung 4.0« vor. Neben den unmittelbaren Weiterbildungskosten könnten daraus auch Lohnersatzleistungen bereitgestellt werden.
Von solchen Strukturänderungen ist man aber noch weit entfernt, auch wenn der Zugang zu Weiterbildung mehrfach gesetzlich gestärkt worden ist. So kann die Bundesagentur für Arbeit nach dem Qualifizierungschancengesetz seit Jahresbeginn nicht mehr nur die Kosten einer Weiterbildung übernehmen, sondern dem Betrieb auch Zuschüsse zum Lohn zahlen, was Arbeitsminister Hubertus Heil nach seiner Ankündigung von dieser Woche ausbauen will. Im Kern ist es ein Instrument, um Unternehmen auf die Sprünge zu helfen, ihre Leute umfassender zu qualifizieren - eine subventionierte innerbetriebliche Weiterbildung. Nach dem deutschen Gesetz legt der Unternehmer den Rahmen fest und die Bundesagentur prüft vor einer Förderzusage den »Bedarf am Arbeitsmarkt« - in Österreich dagegen entscheiden die Beschäftigten selber.
Der Duisburger Arbeitsforscher Gerhard Bosch lobt denn auch die »beachtliche Wahlfreiheit«, die Bildungskarenz und Bildungsteilzeit den Antragstellern lassen. Zugleich vermisst der Wissenschaftler vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) in Deutschland »ein schlüssiges Gesamtsystem« und warnt, Einzelinstrumente, die in anderen Ländern erfolgreich waren, hierzulande einfach zu addieren. Er fordert, Prioritäten zu setzen, die in den nationalen Kontext passen, schon weil die verschiedenen Vorschläge oftmals gleiche Zielgruppen im Blick hätten und um die gleichen knappen öffentlichen Mittel konkurrierten. Bosch präferiert daher den Ausbau des Bafög: »Die Altersgrenze muss fallen.« Bislang kann Bafög nur bis zum 30. Geburtstag bezogen werden. Diese Beschränkung passe nicht zu den Erfordernissen des lebenslangen Lernens.
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