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Hongkongs langer Atem
Seit 1997 kämpfen Demokratieaktivisten gegen die eigene Regierung.
Die Drohungen werden lauter, die Proteste gewaltvoller: In Hongkong erlebt die elfte Woche der Massendemonstrationen gegen die Regierung. Mit der mehrtägigen Blockade eines der wichtigsten Flughäfen der Welt, inklusive öffentlicher Selbstjustiz gegen einen Festlandchinesischen Journalisten, sorgen die Protestierer für Bilder, mit denen sie die Regierung der Sonderverwaltungszone, aber auch Peking unter Druck setzen. Die aktuellen Demonstrationen sind allerdings nur der jüngste Teil einer langen Protestbewegung, die auch soziale Ursachen hat. Und die Demokratie, die die Demonstranten verteidigen, hat ihre Tücken.
Die Regierung versucht mit Gewalt, die Proteste einzuhegen: Vergangenes Wochenende wurde einer Demonstrantin mit einem Gummigeschoss ein Auge ausgeschossen. Die Hongkonger Polizeibehörde musste zugeben, Beamte als Demonstranten verkleidet in die Proteste eingeschleust zu haben. Die Regierung weigert sich allerdings weiter, die Vorwürfe von Polizeigewalt systematisch zu untersuchen.
Derweil baut die Regierung in Peking auf dem Festland eine Drohkulisse auf: Staatsmedien zeigen Bilder von Truppenbewegungen nach Shenzhen, wo paramilitärische Polizeitruppen an der Grenze zu Hongkong das Auflösen von Demonstration probten. Am Freitag hieß es in der staatlich kontrollierten chinesischen Zeitung »Global Times«, Peking habe zwar noch nicht beschlossen, gewaltsam gegen die Unruhen in Hongkong vorzugehen, »aber diese Option steht eindeutig zur Verfügung«.
Nun schalten sich auch viele Regierungen des Westens in die Auseinandersetzung ein. US-Präsident Donald Trump - daheim unter heftiger Kritik, sich nicht für die Hongkonger einzusetzen - schlug auf dem Kurznachrichtendienst Twitter dem chinesischen Staatschef Xi Jinping ein »persönliches Treffen« vor. Xi brauche eine Einigung im US-chinesischen Handelsstreit, so Trump, zuvor aber solle Peking »human« mit Hongkong umgehen. Damit jedoch schenkt der US-Präsident dem chinesischen Staatsoberhaupt einen Trumpf. Denn Peking versucht, die Proteste als Werk der USA und des Westens darzustellen, orchestriert vom US-Geheimdienst CIA mit dem Zweck den Aufstieg Chinas zu bekämpfen.
Dokumentiert ist, dass die Protestgruppen Unterstützung von den USA suchen und bekommen. So erhält die Civil Human Rights Front, Mitorganisatorin der Massendemonstrationen, Gelder von der privaten US-Organisation National Endowment for Democracy. Auch gibt es eine Kampagne unter den Demokratiegruppen in Hongkong, sowohl auf dem Territorium als auch in der Diaspora, den US-Kongress dazu zu bringen, ein Gesetz über Menschenrechte und Demokratie in Hongkong zu verabschieden. Dieses würde es den USA ermöglichen, Sanktionen gegen Hongkonger und Festlandbeamte zu verhängen, die das hohe Maß an Autonomie einschränken würden, das der Stadt bei der Rückgabe 1997 versprochen wurde.
Doch zu sagen, die USA stecke hinter den der massiven Konfrontation, ist falsch. Dafür wird in Hongkong schon zu lange für den Ausbau demokratischer Rechte gekämpft - Rechte, die ihr die Kolonialmacht aus Großbritannien übrigens nicht hinterließ.
Als 1984 der Rückgabevertrag zwischen London und Peking ausgehandelt wurde, vereinbarten die beiden Seiten unter dem Schlagwort »ein Land, zwei Systeme« eine 50 jährige Übergangsphase mit eigener Regierung, gesetzgebender Instanz sowie einer unabhängigen Justiz. Vereinbart wurde der Erhalt von Bürgerrechten wie Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, aber auch der Ausübung demokratischer Rechte. Nur, das demokratische System in der Sonderverwaltungszone ist nicht so demokratisch.
So wird der Regierungschef nicht von der Bevölkerung gewählt, sondern von einer Kommission ernannt, die in Peking zusammengestellt wird. Das Parlament, das 70 Sitze umfasst, wird nur teilweise gewählt. Die dort vertretenen Parteien lassen sich in zwei Lager unterteilen. Entweder kämpfen sie für die Ausweitung demokratischer Rechte oder sie sind für den Erhalt des Status Quo und Pro-China. Seit der Rückgabe der Kronkolonie 1997 dominiert im Legislativrat, dem Parlament Hongkongs, der Pro-China-Block. Und das, obwohl bei den sechs Wahlen seit 1998 immer die Pro-Demokratie-Parteien gewonnen haben. Das liegt daran, dass die Hongkonger nur über 40 der 70 Sitze des Legislativrats abstimmen. Die verbleibenden 30 Sitze werden von Interessenverbänden der Stadt bestimmt: Ein Sitz zum Beispiel von der ansässigen Finanzindustrie, ein anderer von der Medizinindustrie, wieder ein anderer von der Versicherungsindustrie. Unternehmen bestimmen so direkt über die Zusammensetzung des Parlaments. Die Pro-China-Parteien scheinen da besser für das Geschäft zu sein, zumindest gehen die meisten dieser Sitze an den Pro-China-Block, der so bisher dominiert. Für Hongkonger bleibt der Protest als einziges Mittel für Kritik an der Regierung - wovon sie seit langem Gebrauch machen.
2003 setzten 500 000 Demonstranten die Regierung so unter Druck, dass diese ein Gesetz zurücknahm, welches Kritik an China unter Strafe gestellt hatte. Für die Demokratiebewegung sollte dies für lange Zeit der letzte große Erfolg gewesen sein.
2014 besetzten Zehntausende Hongkonger für 79 Tage Straßen im Zentrum der Stadt, um für eine direkte Wahl der Regierung zu demonstrieren und gegen Chinas Einflussnahme bei den Wahlen zu protestieren. Erfolglos - die Polizei löste das Protestcamp unter Einsatz von Tränengas auf. Die Regenschirme, die die Menschen zum Schutz gegen die Sonne und gegen das Tränengas dabei hatten, wurden dabei zu einem Symbol des Widerstandes.
Nach der Niederlage 2014 sah es eigentlich so aus, als wäre die Demokratiebewegung in Resignation versunken. Dazu kam das Gefühl der Hilflosigkeit und die Angst um die Redefreiheit angesichts des mysteriösen Verschwindens von fünf Buchhändlern, die in China verbotene Bücher verkauften. Verhaftungen von Demokratieaktivisten sorgten immer wieder für Verunsicherung.
Neu belebt wurde der Widerstand jedoch im Januar durch das vorgeschlagene Auslieferungsgesetz, von dem in Hongkong befürchtet wird, Peking könne es nutzen, um kritische Stimmen auszuschalten. Und der Widerstand ist heute breiter. Die Regenbogenproteste 2014 wurden vor allem von Studenten, Lehrern und Schülern getragen. Heute jedoch sind breite Schichten der Bevölkerung beteiligt. Neben Bankern und Anwälten solidarisierten sich auch Sozialarbeiter, Fluglotsen und Beamte mit der Jugend. Am Höhepunkt nahmen bis zu zwei Millionen, also jeder dritte Einwohner Hongkongs, an den Demonstrationen teil. Seitdem die Polizei mit Anti-Aufruhr-Taktiken gegen die Demonstranten vorgeht, hat sich die Zahl der Protestierer zwar stark verringert. Dafür beteiligten sich selbst Teile der Wirtschaft an einem Generalstreik.
Das ist nicht überraschend. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die wirtschaftlichen Aussichten für junge Hongkonger nicht mehr so rosig sind. Die ehemalige Kronkolonie verliert an ökonomischer Bedeutung. Noch 1993 war Hongkongs Bruttoinlandsprodukt ein Viertel so groß wie das der gesamten Volksrepublik. Heute kommt die Sonderverwaltungszone nur noch für drei Prozent der Wirtschaftsleistung Chinas.
Das Leben für die Einwohner ist vielfach hart: Hongkong gilt als Metropole mit den höchsten Lebenserhaltungskosten weltweit. In keiner anderen Stadt gibt es prozentual mehr Millionäre und Milliardäre. Gleichzeitig leben 20 Prozent der Einwohner unter der Armutsgrenze. Wohnraum ist für viele kaum noch zu bezahlen, auch weil es durch viele Immobilienkäufe durch Festlandchinesen quasi keinen Leerstand gibt. Die mittlerweile ebenfalls gut ausgebildeten Chinesen konkurrieren dazu auf dem Arbeitsmarkt. Durch den Ausbau der 120-Millionen-Einwohner-Megametropolenregion am Delta des Perflusses um Hongkong verliert Hongkong weiter an Einfluss und Wichtigkeit.
Doch darum geht es den Demonstranten nur am Rande. Sie kämpfen um die Freiheiten, mit denen sie aufgewachsen sind, und um demokratische Rechte. Auch an diesem Wochenende wieder.
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