Beatmungspatienten ab ins Heim?

Gesetzentwurf löst Alarm bei Selbsthilfeverbänden aus

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Referentenentwurf für ein neues Gesetz aus dem Bundesgesundheitsministerium sorgt für Diskussionen. Die neue Verordnung soll Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) heißen. Besonders umstrittenes Thema dabei ist die Beatmungspflege. Diese geriet in der Vergangenheit schon mehrmals durch kriminelle Pflegedienste in die Schlagzeilen, die mit sogenannten ambulanten Beatmungs-WGs eine Menge Geld verdienten. Das funktioniert, wenn die hohen Vergütungssätze der Krankenversicherungen - von bis zu 25 000 Euro pro Person und Monat - kassiert werden, aber die Leistungen nicht durch ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal erbracht werden. Am Ende sahen sich mitunter Angehörige genötigt, sich selbst in die Materie einzuarbeiten, mit einem hohen Risiko für die Patienten.

Das neue Gesetz soll gegen derartige Fehlanreize wirken, nach Medienberichten gebe es hier ein Einsparpotential von über 100 Millionen Euro jährlich. Zugleich besteht aus Sicht nicht weniger Betroffener die Gefahr, dass sie ihr bisheriges selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden aufgeben müssten, spätestens wenn geplante Übergangsfristen auslaufen. Dann soll Beatmungspflege zu Hause nur noch für Kinder und Jugendliche finanziert werden. Einen Bestandsschutz dagegen sei bis jetzt nicht geplant, so die Organisation AbilityWatch. Gegen diese Aussicht wandten sich Selbsthilfeverbände vehement, einige ihrer Vertreter auch auf der Bürgerpressekonferenz des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) am vergangenen Sonntag in Berlin. Dort hatten sich 200 Betroffene zum Protest eingefunden. Unmut löste die Information aus, dass die Stellungnahmefrist für Verbände bereits für Anfang September festgelegt worden sei. Das Gesetz könnte dann noch im Herbst diesen Jahres beschlossen werden und Januar 2021 in Kraft treten. Demnach steht das BMG mit dem Gesetzentwurf nicht ganz so am Anfang, wie Spahn zuletzt betonte. Gegen das Gesetzesvorhaben sammelte die Behindertenbewegung mit der Petition »Lasst Pflegebedürftigen ihr Zuhause! Stoppt das Intensivpflegestärkungsgesetz!« mittlerweile deutlich über 60 000 Stimmen.

Ein Defizit der Beatmungspflege und auch indirekter Anlass für das Gesetz sind fehlende Kapazitäten zur Entwöhnung von der Beatmung, das sogenannte Weaning. In Deutschland existieren 46 dafür zertifizierte Zentren. Zwei Drittel der Patienten können dort erfolgreich die Atmung ohne Gerät wieder »erlernen«, so Jens Geiseler, Sprecher des Verbundes der Zentren, WeanNet. Knapp ein Fünftel der Patienten brauchte keine invasive Beatmung über die Luftröhre mehr, sondern konnte etwa mit einer Atemmaske weiter versorgt werden.

Der Gesetzentwurf folgt weitestgehend den Forderungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), die sich für eine nachhaltige Veränderung der Versorgung einsetzt. Fehlanreize hätten dazu geführt, dass die Zahl dauerhaft beatmeter Patienten in Deutschland enorm angestiegen sei. In vielen Kliniken fehlten Intensiv-Kapazitäten und auch die Expertise, um das Weaning qualitativ hochwertig durchzuführen, kritisiert DGP-Präsident Michael Pfeifer. Doch auch die DGP sieht die geplante weitgehende Streichung der Eins-zu-eins-Versorgung der Patienten zu Hause kritisch. Sie ermögliche vor allem jungen Patienten ein autonomes Leben.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wendet sich ebenfalls dagegen, dass Spahn das Leben schwerst kranker Patienten daheim praktisch unterbinden will. Ein Drittel der Betroffenen könne nicht von der Beatmung entwöhnt werden. Viele dieser Menschen wollten zu Hause versorgt werden. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 30 000 Beatmungspatienten. Auf Distanz zu dem Gesetzentwurf gingen auch die Grünen. Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik nannte die Pläne »einseitig und nicht zielgenau«. Würde der Referentenentwurf unverändert beschlossen, wäre das ein eklatanter Verstoß gegen das Menschenrecht auf unabhängige Lebensführung.

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