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»Die Kollegen reden über fast nichts anderes«
Auch nach dem Beschluss zum Kohleausstieg bis 2038 gibt es bei Beschäftigten und Dienstleistern in der Lausitzer Braunkohleregion viele offene Fragen
Der Jüngste wirkt am gelassensten. André Koch ist 31, gerade Vater geworden und arbeitet bei einer Firma, die im Tagebau Welzow Großgeräte für den Abbau der Braunkohle wartet. Deren Förderung wird spätestens 2038 eingestellt - lange bevor Kochs Arbeitsleben endet. Bereitet ihm das Kopfzerbrechen? »Ich finde was Neues«, sagt er. Und außerdem: »20 Jahre sind eine so lange Zeit - wer weiß, was sich da noch alles verändert hat!«
Der Älteste müsste sich keine Gedanken mehr machen. »Mache ich mir aber trotzdem«, sagt Uwe Kratzert. 45 Jahre hat er in der Lausitz in der Kohle gearbeitet, als Elektriker in Tagebau und Brikettfabrik, als Betriebsrat. Vor 18 Monaten ist er aus dem Arbeitsleben ausgeschieden. Der anstehende Strukturwandel beschäftigt ihn dennoch. »Wenn man das nicht hinbekommt«, sagt er, »dann gibt es hier noch mehr Abwanderung.«
Die Lausitz und die Kohle - das ist seit Jahrzehnten nicht ohneeinander zu denken. Gut 8000 Menschen arbeiten beim Kohleförderer LEAG, etwa ebenso viele bei Dienstleistern. Die Geologin Claudia Niemz führt eine Firma, deren Kerngeschäft die Untersuchung von Kohleproben ist. Ihre zehn Mitarbeiter sind meist um die 40 Jahre alt und also »alle betroffen«, sagt Niemz, die sich daher nach neuen Geschäftsfeldern umsieht. Die Firma »müsste nicht aufhören«, sagt sie; ob die Kohle aber komplett zu ersetzen ist - wer weiß. Immerhin: Es gibt Zeit zur Umstellung. »Hauptsache, das Ende kommt nicht noch früher.«
Dass die Kohle in der Lausitz nicht ewig für Arbeit und Einkommen sorgen würde, war lange klar. Zwar behauptete die sächsische AfD im Wahlkampf unlängst, der Rohstoff reiche noch 1000 Jahre. Tatsächlich gäbe es Lagerstätten, die eine Förderung bis nach 2050 erlaubten. Doch abgesehen von der Klimadebatte hätte das weitere Umsiedlungen bedeutet. Das Revierkonzept der LEAG sah eine Förderung bis Mitte der 2040er Jahre vor. Dass sie nun schon 2038 endet, ist kein gravierender Unterschied.
Dennoch ist die Unruhe in der Region erheblich: »Die Kollegen reden über fast nichts anderes«, sagt Koch. Viele rechnen: Reicht es bis zur Rente? Falls nicht, wollen sie wissen, welchen Ausgleich es gibt und welche Alternativen. Jobs außerhalb der Kohle gibt es, aber der Verdienst ist spürbar geringer - auch wenn selbst die Leag deutlich unter Westniveau zahlt.
Vieles ist unklar, denn noch ist der Beschluss der Kohlekommission nicht in ein Gesetz gegossen. Immerhin: Die Unsicherheit, wie lange es mit der Kohle überhaupt noch geht, ist weg, sagt Uwe Kratzert: »Die Diskussion ohne Ziel war das Böseste.«
Dennoch beeinflusst das Thema die Wahlkämpfe in Sachsen und Brandenburg. Neben der AfD schürt auch die FDP Widerstand gegen den Ausstieg und plakatiert Fotos von Kohlekraftwerken samt dem Slogan, die Lausitz solle Energieland bleiben. Wie hoch das Erregungspotenzial tatsächlich ist, bleibt unklar. Der Zuspruch zur AfD ist in der Region hoch, der Kohleausstieg aber nur einer von vielen Faktoren, glaubt Niemz.
Wichtig sei es jetzt, darin sind sich viele Betroffene einig, den Übergang zu organisieren. Mancher in der Region fürchtet einen zweiten Strukturbruch wie ab 1990. Claudia Niemz hält die Sorge für unbegründet. Die Zahl der Betroffenen sei geringer, die Alternativen größer als damals. Zudem ist es ein Ausstieg mit Ansage: »Wir haben ganz andere Möglichkeiten, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.« Für unklug hält sie es, dass die Politik gerade kurz vor den Wahlen fast täglich neue Ideen debattiert: »Viele Leute denken, da wird uns wieder nur etwas versprochen.«
Allerdings: Viele Vorschläge, die jetzt kursieren - so die einer Außenstelle der TU Dresden am Scheibesee bei Hoyerswerda - haben Potenzial und zeigen, dass die Region auch ohne Kohle nicht verloren wäre. »Es ist wichtig, dass wir jetzt schon darüber reden«, sagt André Koch. Ebenso wichtig sei es aber, »dass die Leute aus der Region mitentscheiden können«. Dass manche Idee anfangs abenteuerlich anmutet - geschenkt. Der Vorschlag für einen Modellversuch Grundeinkommen etwa, den die LINKE in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat, wird selbst in der Partei kontrovers diskutiert. Koch, der seit 2018 LINKE-Stadtchef in Hoyerswerda ist, sagt, er sei ein Fan der Idee. Vielleicht sei ja ein Grundeinkommen in 20 Jahren so selbstverständlich wie das vor zwei Jahrzehnten noch undenkbare Smartphone heute. »Es wird weitergehen«, sagt Koch.
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