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Kein Ende der Proteste
In Hongkong soll am Samstag am zwölften Wochenende in Folge gegen die Regierung demonstriert werden
Nach drei Monaten andauernder Proteste steht Hongkongs Polizeibehörde vor einem Problem. Über 1800 Kartuschen Tränengas haben Beamte bei ihrem Einsatz auf kleinen und großen, bei genehmigten und bei nicht genehmigten Demonstrationen verschossen. So langsam gehen der Polizei ihre Vorräte aus. Und Großbritannien, das Europaparlament und die USA wollen Genehmigungen für den Export des Reizgases nach Hongkong aufheben.
Eine Lösung des Problems dürfte für die Hongkonger Polizei leicht zu finden sein: Zwar ist kein Unternehmen vom chinesischen Festland auf ihrer Liste der autorisierten Zulieferer für das Gas, doch Berichten zufolge haben einige Fabriken dort bereits damit begonnen, die Produktion zu erhöhen.
Auch am vergangenen Wochenende wurde von der Polizei Tränengas eingesetzt. Erstmals kamen auch zwei Wasserwerfer zum Einsatz gegen die Protestierenden, die ihrerseits mit Pflastersteinen, Molotowcocktails und Bambusstangen gegen die Polizei ankämpften. Diese reagierte, auch das ein Novum bei den Protesten, mit einem Warnschuss in die Luft. Die Statistik des Wochenendes: Die Behörden meldeten 65 Festnahmen und 48 Verletzte.
Die Bilder der Straßenkämpfe von Samstag und Sonntag sind eindringlich, doch zeigen sie nur einen Teil der Protestbewegung. Diese ist in ihren Ansinnen divers, von Menschen, die nur gegen die Polizeigewalt protestieren über Demokratieaktivisten bis hin zu militanten Unabhängigkeitsbefürwortern. Einig ist sich die Bewegung in fünf zentralen Forderungen: die Zurücknahme des geplanten Auslieferungsgesetzes, das die Proteste im Juni auslöste; die Zurücknahme der Anklage gegen die von der Polizei festgenommenen Protestierenden; das Ende der Bezeichnung der Demokratiebewegung als »Aufständische«; die Untersuchung der Vorfälle von Polizeigewalt und die Einführung eines wirklich demokratischen Wahlrechts.
Am Freitagabend bildeten 200 000 Menschen eine Menschenkette quer über die Insel und auf dem Hongkonger Festland und verliehen den fünf Forderungen Nachdruck - eine Anlehnung an den 30. Jahrestag des »Baltischen Wegs«, einer 650 Kilometer langen Menschenkette durch Estland, Lettland und Litauen in Erinnerung an den 50. Jahrestag des »Hitler-Stalin-Paktes«.
Zweiundzwanzig Jahre nach der Rückgabe der britischen Kolonie an China steht Peking vor einem Dilemma. Denn die Protestierenden in Hongkong verstehen sich darauf, international für Bilder zu sorgen, die Peking unter Druck setzen. Zwar gibt es inzwischen auch Demonstrationen für China und zur Unterstützung der Hongkonger Polizei, doch die bleiben zahlenmäßig weit hinter denen der Protestbewegung.
In fünf Wochen, am 1. Oktober, will die Volksrepublik ihren 70. Jahrestag feiern. Bilder von Massendemonstrationen in Hongkong passen da nicht in die Erzählung vom friedlichen Aufstieg zu Wohlstand und internationalem Ansehen.
Dazu kommt, dass die Proteste die Grundthesen des chinesischen Entwicklungsmodells in Frage stellen. Dazu gehört, dass Politik und Wirtschaft in getrennten Sphären operieren und dass Wachstum, Handel und Investitionen keiner Demokratie westlicher Prägung bedürften. Doch ein Teil der Protestierenden legt es darauf an, durch eine Schädigung des Wirtschaftsstandorts den Druck auf die Regierung in Hongkong zu erhöhen. Die Blockade des Flughafens gehört genauso dazu wie etwa die Überlegung, durch die Auflösung von Bankkonten und das Abheben von großen Summen die Inflation anzutreiben. Schon gibt es in Peking die Überlegung, Shanghai zu einer Freihandelszone umzuwandeln und so den Kapitalfluss aus dem Ausland nach China zu vereinfachen. Das würde wiederum die Rolle Hongkongs als Finanzplatz schwächen.
Dazu kommt, dass die Proteste auch den Führungsanspruch der Kommunistischen Partei in Frage stellen, zumindest indirekt. Die Übungen paramilitärischer Einheiten in Shenzhen an der Grenze zu Hongkong sind daher eine deutliche Warnung.
Doch bisher zeigen sich die Hongkonger davon nicht beeindruckt. Für Samstag ist bereits die nächste Großdemonstration angesetzt, am fünften Jahrestag der Pekinger Entscheidung gegen demokratische Wahlen in Hongkong. 2014 hatte die vor allem studentisch geprägte Regenbogenbewegung für 79 Tage Teile des Zentrums besetzt, um eine Reform des Wahlrechts zu erreichen. Hongkonger können zwar über den Regierungschef abstimmen, die Kandidaten müssen aber von einem Peking-freundlichen Nominierungskomitee abgesegnet werden.
Anders als 2014 werden die Proteste in diesem Jahr von weiten Schichten der Bevölkerung mitgetragen und unterstützt. Doch viele Studenten sind auch dieses Mal wieder mit dabei. Erst in der vergangenen Woche haben Studierendenvertretungen von zehn Universitäten angekündigt, zum Semesterbeginn Anfang September für zwei Wochen zu streiken. Es ist leicht zu erraten, wo die streikenden Studierenden dann zu finden sein werden - auf der Straße.
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