Mehrheit gegen den No-Deal-Brexit

Im britischen Unterhaus stößt ein möglicher EU-Austritt ohne Abkommen auf keine große Begeisterung

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Premierminister Boris Johnson verfügt im britischen Unterhaus theoretisch nur über eine sehr dünne Mehrheit. Gemeinsam mit der protestantischen und unionistischen DUP aus Nordirland kommen seine konservativen Tories dort auf 320 Sitze. Die gesamte Opposition stellt 319 Abgeordnete. Allerdings muss auch bedacht werden, dass Johnson in der Brexit-Frage nicht seine gesamte Fraktion hinter sich hat. Diverse Parlamentarier der Tories lehnen einen Austritt aus der Europäischen Union ohne Abkommen, den der Premier avisiert, wenn es nicht zu einer Einigung mit der EU kommen sollte, vehement ab.

Die mit Abstand größte Oppositionsfraktion stellt die sozialdemokratische Labour-Partei mit 245 Abgeordneten. Deren Chef Jeremy Corbyn hat deswegen auch seinen Anspruch erklärt, Johnson durch ein Misstrauensvotum zu stürzen und für eine Übergangszeit selbst das Amt des Regierungschefs zu übernehmen. Doch dafür braucht er die Unterstützung von weiteren Oppositionsparteien und von Rebellen bei den Tories.

Zum Teil haben sich diese bereits von der konservativen Partei verabschiedet. Allerdings hat auch Corbyn bei den Sozialdemokraten eine Reihe von Unterstützern verloren. So sitzt im Parlament die »Independent Group for Change«. Die Partei war zunächst als Gruppe von elf Parlamentariern entstanden, welche die Tories beziehungsweise Labour verlassen hatten. Sie bezeichnen sich selber als EU-freundlich. Doch schon nach kurzer Zeit kam es zu neuen Spaltungen. Einige Abgeordnete traten im Sommer aus der Partei aus. Vier von ihnen gründeten im Juli 2019 im Unterhaus die Gruppe »The Independents«. Zwei schlossen sich den Liberaldemokraten an. Deswegen verfügt die »Independent Group for Change« nur noch über fünf Parlamentarier.

Hinzu kommen noch einige weitere kleinere Parteien und Gruppen: die walisischen Sozialdemokraten, die Grünen und einige parteilose Parlamentarier.

Von größerer Bedeutung sind im Parlament die Liberaldemokraten. Sie sind mit immerhin 14 Abgeordneten vertreten und wollen einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU grundsätzlich verhindern. Dafür soll aus ihrer Sicht ein zweites Referendum abgehalten werden. Am Dienstag hatte sich Corbyn mit anderen Gegnern eines No-Deal-Brexits darauf verständigt, zu versuchen, ein Ausscheiden ohne Deal per Gesetz zu verhindern. Allerdings scheuen die Liberaldemokraten bisher davor zurück, Corbyn als möglichen neuen Premierminister zu unterstützen.

In den Umfragen haben die Liberaldemokraten zuletzt bei Unterstützern der EU deutlich hinzugewonnen. Sie liegen bei 18 Prozent und damit sieben Prozentpunkte hinter Labour. Seit der Wahl von Boris Johnson zum Parteichef und seiner Ernennung zum Premierminister sind die Tories im Aufwind. Sie gewinnen offenbar Wähler von der Brexit-Partei zurück, weil Johnson in Sachen EU-Austritt einen harten Kurs fährt. Die Brexit-Partei von Nigel Farage ist von 14 auf 12 Prozent abgerutscht. Die Konservativen führen derzeit mit Werten um die 30 Prozent. Wenn Johnson wirklich Neuwahlen anstrebt, wird er die Beliebtheit seiner Partei weiter steigern müssen oder sich Partner suchen, um an der Macht zu bleiben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -