Bestimmt keine Protestwähler

Positionen zur Asyl- und Klimapolitik waren für viele AfD-Wähler in Sachsen und Brandenburg entscheidend

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg tauchte er in etlichen Wahlanalysen wieder auf: der Protestwähler. Jener vielfach beschworene Stimmberechtigte, der aus Frust über die etablierten Parteien die AfD gewählt haben soll. Die Erzählung, wesentliche Teile ihrer Wählerschaft ginge es nicht um Inhalte, sondern um einen Denkzettel, ist so alt wie die Rechtsaußenpartei. Doch ein Blick in die Nachwahlbefragungen zeigt, dass die These vom Protestwähler nicht haltbar ist.

Nach ihren Ansichten über die Partei gefragt, geben viele AfD-Wähler sehr konkrete Gründe für ihre Entscheidung an. Stärkstes Motiv: die Asylpolitik. So erklärten in einer Nachwahlbefragung von Infratest dimap im Auftrag der ARD 99 Prozent der Rechtsaußenparteiwähler in Sachsen, sie finden es gut, dass die AfD »den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will«.

Das Ergebnis überrascht allenfalls in seiner Deutlichkeit. Schon bei früheren Urnengängen, egal ob auf Landes- oder Bundesebene, hatten AfD-Wähler in Erhebungen angegeben, ihre Entscheidung hänge stark mit der Asylpolitik zusammen.

Alleinstellungsmerkmal in der Klimadebatte

Ähnlich deutlich ausgeprägt ist die Haltung vieler sächsischer AfD-Wähler in der Klimapolitik. 88 Prozent gaben gegenüber den Meinungsforschern von Infratest dimap an, sie finden es gut, dass die Partei der politischen Konkurrenz etwas in der Klimadebatte entgegensetzt. Dabei kam wirkliches Interesse der AfD an Klima- und Umweltpolitik erst in den letzten Monaten auf, als ihr klar wurde, dass die Partei hier über ein Alleinstellungsmerkmal verfügt. Da die AfD im Gegensatz zur Konkurrenz den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel leugnet oder zumindest für marginal hält, fällt es ihr leicht, mit den in Sachsen und Brandenburg verbreiteten Ängsten vor einem Strukturwandel angesichts des Ausstiegs aus der Braunkohle zu spielen. Sachsens Spitzenkandidat Jörg Urban zog dann auch im Wahlkampf über die »sogenannte Energiewende« her, die »massiv gestiegene Strompreise« zur Folge habe und ein »Jobkiller« sei.

Viele AfD-Wähler geben in Erhebungen mittlerweile offen zu, die Partei aus inhaltlichen Gründen zu wählen. 70 Prozent der Rechtsaußenunterstützer in Sachsen erklärten in einer Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF, die AfD wegen ihrer »politischen Forderungen« gewählt zu haben, in Brandenburg waren es 43 Prozent.

Auffällig an den Ergebnissen der AfD in beiden Bundesländern ist, dass der Wahlerfolg der extremen Rechten vor allem auf die Mobilisierung von Nichtwählern zurückgeht und weniger auf Wählerwanderungen weg von anderen Parteien. So überzeugte die AfD in Sachsen 246 000 Menschen, die noch vor fünf Jahren der Landtagswahl fern geblieben waren. In Brandenburg waren es 115 000. Die größten Zuwächse aus dem Lager der politischen Konkurrenz erzielte die AfD übrigens nicht wie oft vermutet bei der LINKEN, sondern mit deutlichem Abstand aus den Reihen der CDU. In Sachsen waren dies 84 000 und in Brandenburg 29 000 Wähler.

Nicht nur »alte« Wähler

Neu ist diese Entwicklung nicht: Schon bei der Bundestagswahl und zuletzt bei der Europawahl waren die Wählerwanderungen ähnlich, auch was den Anstieg der Wahlbeteiligung anging, die wesentlich auf AfD-Unterstützer zurückging. Der Sozialwissenschaftler Horst Kahrs von der Rosa Luxemburg Stiftung vermutet in seiner Nachwahlbetrachtung daher, dass sich die Wanderung von Nichtwählern und Unterstützern anderer Parteien hin zur AfD bereits bei den Urnengängen der letzten zwei Jahre vollzog und nun auch bei den Landtagswahlen zum Tragen kam. Dafür spricht auch, dass die Partei seit der Bundestagswahl 2017 in beiden Bundesländern in der Sonntagsfrage relativ konstant hohe Zustimmungswerte von über 20 Prozent erhielt und sich mittlerweile eine Stammwählerschaft aufgebaut hat.

Ein weiterer Beleg: Die Zusammensetzung der AfD-Wählerschaft hat sich im Vergleich zu früheren Abstimmungen kaum geändert. Ihre größten Erfolge erzielte die Partei bei Wählern im Alter zwischen 30 und 60 Jahren mit etwa 30 Prozent. Dass Jüngere per se skeptischer gegenüber der extremen Rechten sind, lässt sich nach diesen Landtagswahlen nicht behaupten. Bei den 18- bis 24-Jährigen teilen sich AfD und Grüne mit jeweils 20 Prozent die Spitzenposition, bei den 25- bis 34-Jährigen wird die Rechtsaußenpartei in Sachsen mit 26 Prozent sogar stärkste Kraft. Ähnlich sieht es in Brandenburg aus.

Fast wichtiger als die Einordnung der AfD-Wähler nach Geschlecht oder Alter ist deren Selbstwahrnehmung. Danach gefragt, ob Ostdeutsche »Bürger zweiter Klasse« seien, bejahten dies in Sachsen die Anhänger der AfD mit 78 Prozent. Genau dieses Gefühl hatte die Partei im Wahlkampf bedient.

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