Werbung

Markt sucht Schuldner

Fiskalpakt, Schuldenbremsen, schwarze Null: Der drohenden Rezession zum Trotz wird in Europa weiter gespart.

  • Staphan Kaufmann
  • Lesedauer: 7 Min.

In der Welt wundert man sich derzeit über Europas Sparsamkeit. Während andere Länder ihre Defizite erhöhen, um dem drohenden Wirtschaftsabschwung zu begegnen, hat man sich in der EU Fesseln angelegt: Ihr Fiskalpakt verbietet deutliche Neuverschuldung, ihre Verfassungen haben die EU-Mitgliedsstaaten um Schuldenbremsen ergänzt, über diesem Regime wachen die EU-Kommission und die Bundesregierung, die an ihrer schwarzen Null festhält. Keine neuen Schulden - und das, obwohl Kredite derzeit so billig sind wie noch nie.

Das enge Finanzkorsett wird vielfach als Fehler angesehen. Die Schuldenbremse sei eine »ökonomische Dummheit, für die Deutschland in die Geschichtsbücher eingehen wird«, prophezeit der Linkspartei-Politiker Fabio De Masi. Aber wo kommt die per Gesetz verordnete Sparsamkeit eigentlich her? Sie ist ein Erbe der Finanzkrise. Noch vor zehn Jahren fürchtete man sich in Europa vor den Finanzmärkten, die angesichts gestiegener Staatsschulden die Zinsen immer höher trieben und so die Euro-Zone bedrohten. Heute dagegen haben sich die Machtverhältnisse am Weltkapitalmarkt komplett gedreht: Die Finanzmärkte betteln darum, dass sich die Staaten verschulden. Damit ist die Krise allerdings nicht vorüber. Sie hat nur ihre Gestalt gewechselt. Ein Drama in drei Akten.

1. Akt: Die Krise bricht aus

Vor rund zehn Jahren stand die Finanzwelt am Abgrund. Das Ende des Immobilienpreis-Booms in den USA hatte nicht nur tausende von Hauseigentümern um ihr Heim gebracht. Sie machte auch die gesamte auf den Immobilienmarkt getürmte Finanzspekulation fragwürdig. Vermögenstiteln in Höhe von Billionen Dollar bei Banken, Versicherungen und Anlegern drohte damit die Wertlosigkeit. Um den Zusammenbruch zu vermeiden, sprangen die Staaten ein, mit eigenen Krediten. Auch in Europa ersetzten oder garantierten die Regierungen damit die faul gewordenen Schulden des Privatsektors durch eigene, »gute« Schulden.

Der Zusammenbruch wurde vermieden. Doch der Preis war hoch: Die Staatsschulden stiegen, was wiederum die Kreditwürdigkeit der Staaten unterminierte: Die Finanzmärkte hinterfragten die finanzielle Solidität jener Regierungen, von denen sie gerade gerettet worden waren. Durchaus mit Grund. Denn die gestiegenen Staatsschulden repräsentierten kein florierendes Wirtschaftswachstum, sondern bloß Misserfolg, nämlich die fragwürdig gewordenen Kreditmassen des Finanzsektors. Das Misstrauen der Märkte ließ in der Folge die Zinsen für einige Länder steigen, was ihre Finanzstabilität weiter schädigte und gleichzeitig das in Staatsanleihen vorliegende Finanzvermögen gefährdete. Es folgte erst die Griechenland- und dann die Euro-Krise.

2. Akt: Die Politik reagiert

In Europas Hauptstädten - und besonders in Berlin - interpretierte man diese Lage auf eigene Weise: Als Grundproblem definierte man die hohen staatlichen Defizite. Die Tatsache, dass in der Krise Massen von Krediten faul geworden waren und vor ihrer Entwertung gerettet werden mussten, betrachtete man als Problem der falschen Menge: Die Regierungen in Europa hätten zu viele Staatsschulden gemacht. Aus einem Problem der Qualität - Schulden rentieren sich nicht mehr, weswegen ihr Wert verfällt - machte man ein Problem der Quantität: Es gebe ein Übermaß an Schulden. Also, so der Schluss, müssen es weniger werden. Und dazu müssen die Staaten sich per Gesetz selbst zwingen.

2009 wurde in Deutschland die Schuldenbremse beschlossen, die den Bundesländern gar kein Defizit und dem Bund nur ein geringes erlaubt. Ab 2010 debattierte man in Europa über eine Begrenzung der Verschuldung, was 2012 in den Fiskalpakt mündete, der die Schuldenbremsen auf Europa ausweitete. Den Adressaten dieser Selbstverpflichtung nannte damals der deutsche Zentralbank-Direktor Jörg Asmussen: »Die Finanzmärkte müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Mitgliedsstaaten der Union sich die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen als oberstes Ziel gesetzt haben. Dies wird neues Vertrauen schaffen.« Durch drastische Sparsamkeit wollten die Euro-Staaten sich selbst wieder zu einem attraktiven Anlageziel für die Finanzmärkte machen. Gleichzeitig sollte so aus den Billionen fragwürdiger Forderungen wieder renditesicheres Geldkapital werden.

Die Bundesregierung sah sich hier als Vorreiter: Das »Wirtschaften auf Pump soll endlich ein Ende haben«, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die schwarze Null, sekundierte Finanzminister Wolfgang Schäuble, »ist kein Selbstzweck, aber sie steht für Verlässlichkeit«. Alles andere »würde zu einer neuen Vertrauenskrise führen, und das wäre das Letzte, was wir jetzt in Europa in dieser Lage gebrauchen könnten«. Damit wollte die Bundesregierung Druck auf die anderen Euro-Staaten ausüben, es ihr gleich zu tun.

3. Akt: Die Krise wird vertagt

Die Sparsamkeit jedoch hielt die Krise nicht auf, sondern verschärfte sie. Konfrontiert mit einer sinkenden privaten Nachfrage konnten die Regierungen ihre eigene Nachfrage per Kredit nicht ausweiten. Die Krise breitete sich daher aus, was der Anti-Euro-Spekulation an den Märkten neue Nahrung gab. Beendet wurde die Krise nicht durch die Zurückhaltung staatlicher Kredite, sondern durch das genaue Gegenteil: Die Europäische Zentralbank (EZB) sprang ein, sie garantierte für die Stabilität des Euro-Raums, indem sie sich als potenziell unbegrenzt zahlungsfähiger Käufer für Euro-Staatsanleihen präsentierte. Damit entzog sie der Anti-Euro-Spekulation den Boden.

Heute fürchtet sich niemand mehr davor, dass das Misstrauen der Finanzmärkte zu steigenden Zinsen und damit zu Staatspleiten führt. Im Gegenteil, die Zinsen liegen so niedrig wie noch nie. Die privaten Investoren, so US-Ökonom Paul Krugman, »betteln um Investitionen der Staaten«, also darum, dass die Regierungen Schulden machen, neue Anleihen ausgeben, in die Anleger ihr Geld stecken können. Die Märkte leiden unter einem Schuldnermangel, sie wissen nicht wohin mit ihrem Geld und sind bereit, auch sichere Verluste zu akzeptieren: Global haben Anleihen im Wert von etwa 17 Billionen Dollar negative Renditen. Das heißt, dass der Gläubiger dem Schuldner für den Kredit Geld bezahlt.

Grund für diese paradox erscheinende Situation ist ein Übermaß an anlagewilligem Finanzkapital, das nach Verwertung sucht und darüber im Anleihe-, Aktien- und Immobilienmarkt wieder Spekulationsblasen aufpumpt. Diese privaten Kapitalmassen treten in Konkurrenz mit den staatlichen Notenbanken, die Wertpapiere in rauen Mengen aufgekauft haben - die EZB zum Beispiel erwarb Anleihen über 2,6 Billionen Euro. Am 12. September könnte sie weitere Käufe ankündigen, »und die US-Zentralbank ist nur eine Rezession davon entfernt, das gleiche zu tun«, sagt der US-Ökonom Larry Summers. Er nennt es die »Geldpolitik des schwarzen Lochs«.

Die Krise von 2009 hat damit ihre Form verändert. Damals garantierten die Staaten mit neuen Schulden für die fragwürdig gewordenen Kredite der Finanzwelt. Als dadurch die Staaten selbst in die Klemme gerieten, garantierten die Zentralbanken für die fragwürdig gewordenen Kredite der Staaten: Addiert haben die Zentralbanken der Euro-Zone, der USA, Großbritanniens und Japans in den vergangenen zehn Jahren ihre Bilanzen um etwa zwölf Billionen Dollar aufgepumpt und damit auf eigene Rechnung das Finanzsystem stabilisiert.

Doch es ist weiter wacklig. Denn die Massen an Anleihen und Aktien repräsentieren billionenschwere Verwertungsansprüche des Finanzkapitals, und es ist unklar, ob diese Ansprüche dauerhaft eingelöst werden können, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaft sich im Abschwung befindet. Dass die Krise vorerst nicht ausbricht, dafür stehen die Zentralbanken ein und sorgen für niedrige Zinsen. Die niedrigen Zinsen wiederum halten staatliche wie private Schuldner solvent - stiegen die Zinsen wieder oder verkauften die Zentralbanken ihre Wertpapiere, wären Massenpleiten die Folge.

4. Deutscher Schluss

Angesichts der Lage gibt man sich in Deutschland unbeeindruckt. Der Finanzminister spielt zwar mit etwas höherer Neuverschuldung. Viel wird es aber nicht geben. »Wir haben die schwarze Null erfunden, und wir werden sie weiter verteidigen«, sagte CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Damit soll der Druck auf die anderen EU-Staaten aufrecht erhalten werden. Denn eine Abschaffung oder Abmilderung der Schuldenbremse »würde von den Regierungen vieler EU-Länder als Freifahrtschein für eine expansivere Finanzpolitik verstanden«, erklärt Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen. »Es ist fraglich, ob die Bundesregierung ein solches Signal geben will.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -