- OXI
- Generation Golf
Bällebad statt Revolution
Schweigen, reden, erzählen, plaudern: Vor fast 20 Jahren erschien Florian Illies’ »Generation Golf« über die spätbundesrepublikanische Jugend der 1980er Jahre
Generationen bekommen ihren Namen und somit ihren Stempel. Der Name macht sie, wie die Kindliche Kaiserin aus der »Unendlichen Geschichte«, erzählbar und im schönsten Fall unsterblich. Es wird ein gutes Ende nehmen.
Namen aber sind Stempel. Wir schlagen uns mit ihnen rum und suchen den Ausgang. Babyboomer (1946-1964), Generation X (1965-1979), Generation Y (1980-1993), Generation Z (ab 1993, auch YouTube genannt). Dazu die mal schönen, mal weniger schönen anderen Bezeichnungen, die uns die politischen und ökonomischen Verhältnisse erklären und daraus ableiten, wie sich eine ganze Generation damit rumschlägt oder darin einrichtet: Tina (there is no alternative oder anders: Egal, was wir tun, die Karten sind gelegt). Margaret Thatcher ist es zu verdanken, dass sich vermeintlich in die DNA künftiger Generationen einbrannte, es gebe keine Alternative zum Abbau des Sozialstaates und zu neokonservativer Wirtschaftspolitik. Ein anderes Leben sei möglich, wehrten sich dann Mitglieder genau jener Generationen, denen geraten wurde, sich zu fügen.
Wir lesen Bücher über das Schweigen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, über Traumata, Auflehnung, Neuerfindung. Und die Literatur beschert uns dazu noch schönere, treffendere Namen, die es auf den Punkt zu bringen scheinen oder bringen. Dann sind wir froh, denn haben wir uns erst einmal erklärt oder sind wir erklärt worden, lässt es sich besser leben. Oder wir können ausbrechen.
Jana Hensel hat uns die »Zonenkinder« nähergebracht, Florian Illies ist es zu verdanken, dass wir die »Generation Golf«, der bis dato nur das X anhing, besser verstehen. 2001 erschien das erste Buch, 2005 legte Illies nach, was bei dem ökonomischen und sonstigen Erfolg, den das erste Buch aufzuweisen hatte, nicht verwunderte. 2016 erklärte Rebecca Weber in einer Studienarbeit, warum Bezeichnungen wie Zonenkinder und Generation Golf ein schönes, warmes Wir-Gefühl hervorriefen, diese beiden »popliterarischen Generationenporträts«. Wir-Gefühl ist schön, vor allem dann, wenn wir uns eigentlich auch ein bisschen schämen sollten. Ob unserer Sorglosigkeit zum Beispiel oder unseres Hedonismus wegen, der die Eltern, die doch irgendwie irgendwas wollten und dafür auf die Straße gegangen oder wenigstens in eine Partei oder Gewerkschaft eingetreten sind, ein wenig ratlos macht.
Illies ist seit Januar 2019 Verlagsleiter bei Rowohlt, worüber das Feuilleton viel geschrieben hat, weil da die Frage zu beantworten war, ob so ein des Schreibens mehr als mächtiger Mann, dem jedoch möglicherweise eine Tiefe fehlt, die das Feuilleton aber haben möchte, ob so einer ein solches Schwergewicht wie Rowohlt leiten kann. Nebengleis.
Das Buch »Generation Golf« ist weder sozialkritisch noch analytisch, so war es auch nicht angelegt. Dass der Name eines Autos (des deutschesten aller deutschen Autos) den Titel fürs Buch stellte, hatte seine berechtigte Bewandtnis. Der Hedonismus einer Generation, die mit Werbung und PR bis unter die Schädeldecke gefüttert wurde, deren Alltagserfahrungen sind Gegenstand beider Bücher. Das ist lustig, denn Illies scheute sich nicht, die ganze darin liegende Peinlichkeit zu beschreiben.
Es ist unterhaltsam, denn er beschrieb detailversessen, kurzweilig und pointiert, und alles, was er beschrieb, triggerte bei jenen, die in der kleinen BRD groß geworden sind, Erinnerungen: Kinderschokolade und »Wetten, dass ...?«, Helmut Kohl und Playmobil. Überhaupt Playmobil. Benetton-Pullover und Adidas-Turnschuhe. »Illies, ein wahrer Erinnerungskünstler, trägt das alles mit bewundernswerter Akribie zusammen, und der Wiedererkennungswert grenzt bisweilen an Obszönität«, schrieb Anja Höfer in einer Rezension.
Die Generation Golf, das waren die Kinder jener Eltern, die als 68er in die Geschichte eingingen. Zumindest ein Teil von ihnen. Und man hat sich an der Frage abgearbeitet, warum die Kids jener so hochpolitisierten Menschen dermaßen unpolitisch durch ein schönes Leben gehen, in dem die Frage nach dem Verhältnis von Haben und Sein final gelöst zu sein schien. Haben war allemal besser. Hatten die Eltern sich wider die Warenästhetik und Krawattenkultur erhoben und für Rollkragenpullover und Jeans (gern auch Marken) entschieden, über den latenten beziehungsweise teilweise offenen Gewaltcharakter des bürgerlichen Staates (der Sozialpsychologe Peter Brückner, 1922-1982) diskutiert und für die »Zerstörung des Gehorsams« plädiert, vergnügten sich deren Kinder – zugespitzt und somit viel zu sehr vereinfacht – im Ikea-Bällebad und freuten sich mehr über ein Nutella-Pausenbrot als über eine gut besuchte Anti-Kriegs-Demonstration.
Die »Aktion Vatermord« (Alexander Mitscherlich), so oft schon versucht und gescheitert, spielte für die Generation Golf so gar keine Rolle. Die Väter waren nett, hatten nur einen Knall, weil sie andauernd gegen was protestieren wollten, es sei denn, ihnen war der Aufstieg ins situierte Establishment gelungen. Die Revolution als Gewissheit war fort und Kinderschokolade konnte über eine sich daraus möglicherweise ergebende Sinnkrise ausreichend hinwegtrösten. Zumal sie eine gehörig große Portion Milch enthielt.
Florian Illies hat das in exzessiver Detailversessenheit – und somit auch heute noch immer lustig zu lesen – beschrieben. Mehr wollte er auch gar nicht. Hat er immer gesagt. Er war und ist ein kluger Konservativer und zugleich kein Patriot, was ja schon mal viel ist, weil, wie er sagt, »wir in Sachen Nationalgefühl tatsächlich einen Knacks weghaben«. Was jetzt aber auch nie gereicht hat, auf die Straße zu gehen und gegen irgendwas zu sein.
Die Generation Golf hatte es mit einer Gesellschaft zu tun, in der – wie Jürgen Habermas kommentierte – vom Protest der Linken damals immerhin Rita Süssmuth als Frauenministerin übrig geblieben war. Die APO-Opas konnten mit Playmobil nichts anfangen, aber sie waren nett zu ihren Kindern.
Im Deutschlandfunk erklärte Florian Illies es im Jahr 2000 dem Journalisten Christoph Schmitz so: »Wir haben Lehrer gehabt, die uns warnten vor dem Atomkrieg, die uns warnten vor den Raketen, die bald kommen würden, und vor der täglich bevorstehenden Apokalypse. Wir haben vielleicht zeitweilig daran geglaubt, aber dann gemerkt, eigentlich musste einem die Zeit zu schade sein, sich zu ärgern und sich in Depressionen hineinzusteigern. Man geht dann lieber Tennis spielen oder ins Freibad und man sieht am nächsten Tag: Die Welt steht immer noch und es geht immer weiter. Es entstand daraus eine Ignoranz, eine Arroganz gegenüber diesen Vorgängern, die sich noch einbildeten, man könne, wenn man auf die Straße geht, noch irgendwas verändern.«
Der Schweizer Kunstwissenschaftler und Medientheoretiker Beat Wyss, ein Konservativer feinster Art, nimmt die Generation vor der von Illies ins Visier genommenen Golf-Generation in den Blick, wenn er schreibt, dass diese Achtundsechziger Jagd auf das Phantom des Bildungsbürgers machten, um den Hohlraum einer kulturellen Tradition, »die durch zwei Weltkriege erschüttert und durch faschistische Vereinnahmung diskreditiert war«, zu füllen und damit – obwohl erklärte Anti-Amerikaner – der Amerikanisierung Vorschub leisteten, indem sie den bürgerlichen Kanon abschafften und halfen, »den Anschluss der Nachkriegsgesellschaft an die Konsumkultur der USA durchzusetzen« (»Nach den großen Erzählungen«, Edition Suhrkamp, 2009).
»Es wäre ungerecht, die Generation, die den Langen Marsch durch die Institutionen antrat, als Totengräber der großen Erzählungen zu bezeichnen. Die Achtundsechziger waren nur die Abdecker. Die Demontage des humanistischen Erbes war ein Sachzwang im Globalisierungsprozess des Kapitalismus.«
Das mag für ein so leichtfüßig daherkommendes Buch wie »Generation Golf« zu schweres Geschütz sein. Aber so betrachtet hat Florian Illies dieser Bestandsaufnahme eine Erzählung hinzugefügt, die auch heute lesenswert ist. Von nichts kommt halt nichts. Nicht mal die Vorliebe für Adidas-Turnschuhe und Barbour-Jacken.
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