- Politik
- Sanktionen in der Grundsicherung
Hartz IV von 72.000 Alleinerziehenden gekürzt
In 1200 Fällen wurde der Regelsatz vergangenes Jahr sogar komplett gestrichen
Es ist ein Geburtstag, den einige wohl gerne übergehen würden. Vor fast 15 Jahren, am ersten Januar 2005, wurde in Deutschland Hartz IV eingeführt. Zum Kern der Grundsicherung der damaligen rot-grünen Bundesregierung gehört das Prinzip »Fördern und Fordern« - das mit harten Sanktionen durchgesetzt wird.
Passend zum »Jubiläum« wollte es die LINKE im Bundestag noch einmal genau wissen und hat in einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung nach einer Bilanz der Sanktionen im Hartz-IV-System gefragt. Dabei kam auch heraus, dass es heute deutlich mehr Alleinerziehende als noch vor einigen Jahren gibt, die sanktioniert werden. »2018 wurden rund 72.000 alleinerziehende Leistungsberechtigte neu sanktioniert; 2007 lag der Wert bei 48.000«, schreibt das Arbeitsministerium in seiner Antwort. Dabei ist die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften mit Alleinerziehenden in dem Zeitraum gesunken. 2007 lag die Anzahl der Alleinerziehenden in Bedarfsgemeinschaften noch bei rund 667.600, zehn Jahre später waren es rund 588.800.
Der Hartz-IV-Regelsatz beträgt derzeit 424 Euro. Wird eine Maßnahme abgebrochen oder ein Jobangebot abgelehnt, weil es zum Beispiel nicht der alten Qualifikation entspricht, wird der Satz gekürzt. Anders als manche Politker*innen, wie beispielsweise FDP-Chef Christian Lindner behaupten, kann die Grundsicherung auch komplett gestrichen werden, inklusive der Wohnkosten. Bei unter 25-Jährigen erfolgt das schon beim zweiten Pflichtverstoß. Bei Älteren wird er beim ersten Mal um 30 Prozent gekürzt, das entspricht immerhin 127 Euro. Sozialverbände, Grüne und LINKE kritisieren den Regelsatz auch ohne die Kürzung durch Sanktionen als deutlich zu niedrig.
Wie aus der kleinen Anfrage außerdem hervorgeht, wurden Alleinerziehenden die Bezüge auch zu 100 Prozent gestrichen. Im Jahr 2018 kam die rund 1200 mal vor, 2017 waren es mit 1242 Fällen sogar etwas mehr. Für die Jahre davor machte die Bundesregierung keine Angaben.
LINKEN-Chefin Katja Kipping sagte gegenüber »neues deutschland«: »Kinder großziehen gehört zu den schönsten Dingen. Doch schon zu zweit ist es manchmal eine echte Herausforderung - vor allem, wenn man jeden Cent dreimal umdrehen muss. Alleinerziehende schultern diese Aufgabe alleine 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.« Kipping übte scharfe Kritik an der Sanktionspraxis der Großen Koalition: »Was macht die Groko? Sie sanktioniert nicht wenige von ihnen - 1200 in 2018 wurden sogar vollsanktioniert.« Sie werde nicht Ruhe geben, »bis das Hartz-IV-Sanktionsregime überwunden ist«.
Für kommenden Freitag wird erwartet, dass Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bei der Vorstellung der Ergebnisse des »Zukunftsdialogs 'Neue Arbeit - neue Sicherheit'« ein neues Grundsicherungskonzept vorstellt. Vergangenen Herbst hatte die damalige Parteichefin Andrea Nahles angekündigt, die Partei werde »Hartz IV hinter sich lassen«. Bisherige Ankündigungen sehen aber nur Abmilderungen der Sanktionen vor. Kipping kritisierte: »Im Haushaltsplan ist für ALG-II im Jahr 2020 nicht mehr Geld eingeplant. Also ist zu befürchten, dass Hubertus Heil die unsägliche Tradition aller bisherigen Sozialminister*innen fortsetzt und den Regelsatz weiter gezielt kleinhalten wird. Das geht nur mit üblen Rechentricks.«
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