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Streik ist keine Option
DGB fordert 8,5 Prozent mehr Lohn für Leiharbeiter - Druckmittel hat man kaum
Mehr Lohn und Verbesserungen bei Urlaub und Sonderzahlungen - das fordert der DGB in den an diesem Dienstag beginnenden Tarifverhandlungen mit den zwei großen Arbeitgeberverbänden der Leiharbeitsunternehmen. Die Tarifgemeinschaft Leiharbeit der acht DGB-Gewerkschaften will 8,5 Prozent mehr Entgelt für die Beschäftigten, höheres Urlaubs- und Weihnachtsgeld, mehr Urlaubstage und eine Verbesserung von Zuschlagszahlungen erreichen. Die Tarifverträge mit dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) sowie dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) betreffen nach Gewerkschaftsangaben 98 Prozent der bundesweit rund 900 000 Beschäftigten in Leiharbeit.
In der am weitesten verbreiteten Leiharbeits-Entgeltgruppe I liegt der Stundenlohn derzeit bei 9,49 Euro (Ost) bzw. 9,79 Euro (West). Wer 2018 in Vollzeit und sozialversicherungspflichtig in Leiharbeit beschäftigt war, erzielte damit im Mittel ein monatliches Bruttoeinkommen von 1928 Euro. Das sind fast 40 Prozent weniger als regulär Beschäftigte zur Verfügung hatten, die auf einen Medianlohn von 3304 Euro kamen, wie aus der im August veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht.
Durch die überdurchschnittliche Entgelterhöhung will der DGB einen »deutlichen Abstand« der unteren Tarifentgelte zum gesetzlichen Mindestlohn erreichen. Dieser liegt seit Januar 2019 bei 9,19 Euro und steigt zum Jahreswechsel auf 9,35 Euro. Es gehe darum, »perspektivisch eine eigenständige Alterssicherung der Beschäftigten zu erreichen«, begründet die Tarifgemeinschaft ihre Forderung.
Allerdings: Selbst wenn sich die Gewerkschaften mit ihren Vorstellungen in Gänze durchsetzen könnten, wäre man von Löhnen, die Altersarmut vorbeugen, noch weit entfernt. Eine Erhöhung um 8,5 Prozent würde die Stundenlöhne der Leiharbeitsbeschäftigten auf 10,30 Euro im Osten bzw. 10,62 im Westen anheben. Um auf eine gesetzliche Altersrente über dem Grundsicherungsniveau von derzeit 794 Euro zu kommen, müssen Beschäftigte einen Stundenlohn von mindestens 12,63 Euro erzielen und damit mindestens 45 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. So hatte es das Arbeitsministerium 2018 auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag vorgerechnet.
Weiter fordert der DGB Verbesserungen in den sogenannten Manteltarifverträgen. Hier geht es um höhere Jahressonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, jeweils in Höhe eines halben Monatslohns. Die Sonderzahlungen sollen teilweise nur Mitgliedern von DGB-Gewerkschaften zugute kommen - mit einer solchen Bonusregelung hoffen die Gewerkschaften offenbar, ihren Organisationsgrad unter Leiharbeitsbeschäftigten zu erhöhen. Außerdem will die DGB-Tarifgemeinschaft die Anzahl der Urlaubstage erhöhen. Schließlich sollen die Zuschläge, etwa für Nachtarbeit, in Zukunft mindestens denen der Entleihbetriebe entsprechen.
Die Leiharbeit ist die einzige »Branche«, in der alle acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften als Tarifgemeinschaft gemeinsam verhandeln. Die Durchsetzungsmacht ist hier äußerst gering. Das klassische Mittel des Arbeitskampfes ist aufgrund des geringen Organisationsgrades und der prekären Situation der Beschäftigten praktisch nicht anwendbar.
Die Arbeitgeberverbände BAP und iGZ haben die Gewerkschaftsforderungen bereits als »vollkommen überzogen« zurückgewiesen. Die Leiharbeitsunternehmen seien erheblich von der wirtschaftlichen Eintrübung betroffen, erklärte die Verhandlungsgemeinschaft Zeitarbeit Anfang September. »In der aktuellen Phase würden durch derartige Forderungen weitere Arbeitsplätze gefährdet und Integrationschancen von Menschen in den Arbeitsmarkt behindert.«
Seit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vor zwei Jahren haben Beschäftigte in Leiharbeit nach neun Monaten theoretisch Anspruch auf den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft. Allerdings werden die meisten von ihnen weniger als ein halbes Jahr am Stück in einem Betrieb eingesetzt.
Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Beschäftigten in Leiharbeit auf über eine Million, um sich aktuell wieder bei rund 900 000 einzupegeln. Leiharbeit macht aber nur einen Teil der Prekarität auf dem deutschen Arbeitsmarkt aus: Jeder fünfte Beschäftigte arbeitet mittlerweile nicht in einem normalen Arbeitsverhältnis. 7,5 Millionen Erwerbstätige sind nach offiziellen Angaben in Leiharbeit, Minijobs, geringfügiger Teilzeit oder mit befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt. Fast 17 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiteten für Niedriglöhne.
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