Wahlkampf um den rechten Rand

Der Likud von Israels Regierungschef Netanjahu tut sich in einstigen Hochburgen schwer

  • Oliver Eberhardt, Tel Aviv
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eine tiefe Gleichgültigkeit, die am Sonntag vor der Wahl über Sderot hängt - jener Stadt, die immer dann für Schlagzeilen sorgt, wenn die Lage rund um den nahen Gazastreifen eskaliert, Raketen abgeschossen werden, die Luftschutzsirene Tag und Nacht heult. Schnell nutzen die Lokalpolitiker dann die kurze Aufmerksamkeit, um mehr Schutzräume, mehr Geld für Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung zu fordern. Und ebenso schnell kommen dann aus Jerusalem, wo Regierung und Parlament sitzen, Versprechen für noch mehr Projekte, noch mehr Steuererleichterungen für Investoren - vergeblich. Denn hier will kaum jemand investieren, weil man nie weiß, wann der nächste Krieg mit der Hamas Produktion und Geschäft zum Erliegen bringen wird.

Vor einem Lokal sitzen am Sonntag die Menschen, genießen die nicht mehr ganz so heiße Spätsommersonne. Nein, sagen sie alle, mit der Wahl wollen sie sich jetzt gerade nicht so gerne beschäftigen. »Hier in dieser Stadt schlug früher eines der Herzen des Likud«, sagt der 42-jährige Ja’akov Aharonowitsch, Fabrikarbeiter, »doch die Zeiten sind wohl vorbei. Nach mehr als zehn Jahren Benjamin Netanjahu haben viele hier das Vertrauen in die Partei verloren.«

Ja, rechts ist man hier immer noch und die meisten werden auch heute wieder zur Wahl gehen. Doch in einstigen Likud-Hochburgen zeigt sich, wie eng es dieses Mal für Regierungschef Benjamin Netanjahu und seinen Likud werden könnte. Denn zwar präsentiert sich Netanjahu, seit 2008 im Amt, im In- und Ausland gerne als Premier, der die Mehrheit der Wähler hinter sich hat. Doch tatsächlich ist das überhaupt nicht der Fall: 26,46 Prozent der Wählerstimmen erhielt Netanjahus Likud bei der letzten Parlamentswahl im April - das beste Wahlergebnis unter seiner Führung. Dass man 35 der 120 Parlamentssitze, oder 29 Prozent, erhielt, liegt allein am Wahlsystem. Je mehr Parteien an der 3,25 Prozenthürde scheitern, desto mehr entfernen sich die Kräfteverhältnisse in der Knesset vom tatsächlichen Ergebnis.

Dies führt auch dazu, dass sich die politische Landschaft seit einigen Jahren ständig verändert. Neue Parteien werden gegründet, Bündnisse geschmiedet, um bessere Chancen zu haben, die Wahlhürde zu überwinden. Und so sieht die Liste der Wahllisten heute ganz anders aus als noch vor viereinhalb Monaten: Die arabischen Parteien treten wieder als gemeinsame Liste an. Die linksliberale Meretz hat sich mit dem ehemaligen sozialdemokratischen Premierminister Ehud Barak zur Demokratischen Union zusammen geschlossen. Der Likud geht nun mit der Kleinpartei Kulanu zusammen. Und die rechten Parteien haben sich zum Teil unter Führung der ehemaligen Justizministerin Ajelet Schaket zur »Neuen Rechten« zusammen geschlossen, während andere ihr Glück alleine versuchen.

Damals im April war der Likud mit 35 Mandaten gleichauf mit der Blau-Weiß-Liste des ehemaligen Generalstabschefs Benny Gantz gelandet, hatte aber 14 489 Stimmen mehr erhalten. In Israel beansprucht der Spitzenkandidat der Liste mit den meisten Wählern traditionell den Regierungschefposten für sich. Doch Netanjahu scheiterte bei der Regierungsbildung am Widerstand der von Avigdor Liebermann geführten rechten Jisrael Beitenu, weil Netanjahu auch radikale Rechte in die Regierung holen wollte.

Liebermann ist grundsätzlich für einen Regierungschef Netanjahu, schließt aber einen Eintritt in eine rechte Koalition aus - was die Regierungsbildung so schwer machen könnte wie nie zuvor. Denn zwar hat Blau-Weiß-Chef Gantz zum ersten Mal in der israelischen Geschichte nicht ausgeschlossen, eine Koalition mit den arabischen Parteien einzugehen. Doch wenn die Wahl auch nur annähernd so ausgeht, wie es die Umfragen vorher sagen, müsste entweder mindestens eine Partei aus dem rechten oder dem linken Lager das tun, was sie bisher alle kategorisch ausschließen, und eine entweder von Netanjahu oder Gantz geführte Regierung unterstützen. Oder es müsste eine »Regierung der Nationalen Einheit« aus Blau-Weiß und Likud geben. Doch Gantz hat dies ausgeschlossen, so lange Netanjahu eine Anklage wegen Korruption droht. Die Polizei hatte eine solche Anklage bereits vor Monaten empfohlen.

Seit einigen Tagen versucht Netanjahu, auf der Suche nach neuen Wählern, bei jenen zu punkten, die zwar politisch im Zentrum stehen, sicherheitspolitisch aber eher rechts eingestellt sind. So kündigte er an, das Jordantal annektieren zu wollen, das im israelisch besetzten Westjordanland entlang der Grenze zur Jordanien verläuft und als Puffer gegen einen Angriff auf Israel von Osten her betrachtet wird. Während die Arbeitspartei in den 70er Jahren über den Umgang mit den 1967 besetzten Gebieten diskutierte, gewann der Likud unter Führung von Menachem Begin 1977 unter anderem mit der Forderung nach einer dauerhaften Besetzung aus sicherheitspolitischen Gründen die Wahl. Während Netanjahu über das Jordantal sprach, später auch die Annektion der jüdischen Siedlungen in Hebron in Aussicht stellte, erwähnte er immer wieder auch Begin.

Ob er damit die Stimmen bekommt, die er braucht, ist zumindest in Sderot sehr unsicher. »Ich glaube, viele hier werden Liebermann wählen«, sagt der Fabrikarbeiter Aharonowitsch, »denn rechte Politik kann der besser als Netanjahu.«

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