Problem mit dem Selbstbild

In der Knessetwahl am Dienstag wird voraussichtlich fast nur rechts gewählt. Wieso das so ist, erklärt ein Blick in die Geschichte und auf die Stimmung im Land

  • Lea Schönborn
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei den Knessetwahlen im April erzielte die israelische Arbeitspartei Awoda das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Sie erreichte lediglich sechs von 120 Sitzen. Bis 1977 stellte Awoda alle Ministerpräsidenten. Meretz, die am weitesten links stehende Partei, erhielt nur vier Sitze. Die beiden arabischen Parteien, Chadasch und Ra’aam Balad, erreichten zusammen zehn Sitze.

Erklärungsversuche dafür, dass in Israel die Linke bei Wahlen so schwach ist, hangeln sich an den Schlagwörtern Populismus und Sicherheit entlang. Parteien der Mitte und des rechten Spektrums sind mit ihrer populistischen Sprache erfolgreich. Unter dem Schlagwort Sicherheit legitimieren diese in der israelischen Öffentlichkeit etwa Angriffe auf den Gaza-Streifen.

Auch wenn sich Benny Gantz, Präsidentschaftskandidat der Blau-Weiß-Liste, als konsequenterer Kriegsführer gegenüber Palästinenser*innen als der bisherige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu präsentiert, unterstützt Meretz ihn im Demokratischen Bündnis mit der Partei Demokratisches Israel.

Die Linke sticht ansonsten mit Zersplitterung hervor. Bündnisse lösen sich auf, bilden sich neu. Vor der Wahl im April waren die arabischen Parteien einzeln angetreten. Nachdem sie dann relativ erfolglos dastanden, beschlossen sie, wieder gemeinsam als arabische Union anzutreten.

Die Erklärung für eine schwache Linke lässt sich auch in der Geschichte Israels finden. Bis 1977 hatten die Sozialdemokraten die israelische Politik dominiert. Sie galten jedoch und gelten immer noch als Repräsentanten der meist wohlhabenden Aschkenasim, jüdische Einwanderer*innen aus Europa. Mizrachim, jüdische Einwanderer*innen aus dem Nahen Osten und nordafrikanischen Ländern, fühlten sich diskriminiert und übergangen. Als der konservative Likud sich 1973 als Bündnis zusammenfand, war die Partei ein Auffangbecken für enttäuschte Mizrachim. 1977 wurde die Partei dann erstmals stärkste Kraft.

Seitdem fand die Arbeitspartei nie wieder zu alter Stärke zurück. Während der Osloer Friedensprozesse Anfang der 1990er Jahre, bei denen es um die Israel-Palästina-Frage ging, bildeten sich Menschenrechtsorganisationen. Partnerschaften entstanden zwischen Palästinenser*innen und Israelis. Dann wurde der bisherige Hoffnungsträger für eine friedliche Lösung im Nahostkonflikt, der damalige Ministerpräsident Jitzchak Rabin, von einem rechtsextremistischen Israeli erschossen. Nach seinem Tod und der Zweiten Intifada verpuffte die Hoffnung auf Frieden schnell. Seit dem Scheitern des Camp-David-Gipfels im Jahr 2000, bei dem es erneut um die Lösung des Nahostkonfliktes ging, wird das Thema »Sicherheit« in politischen Kampagnen großgeschrieben.

Larry Derfner, Journalist und Autor des Buches »Kein Land für jüdische Liberale«, sagt dem »nd«: »Das Wort Frieden ist aus dem politischen Vokabular gefallen.« Die Linke habe einfach nichts mehr an die israelische Öffentlichkeit zu verkaufen, fügt er zynisch hinzu.

Die Analyse des Politikprofessors Yuval Benziman von der Hebräischen Universität in Jerusalem überschneidet sich mit Derfners Worten: »Bei der Trennung zwischen Rechts und Links in Israel ging es meist um die unterschiedlichen Ansätze, wie der israelisch-palästinensische Konflikt zu beenden wäre«, sagt er dem »nd«. Nachdem die Meinung, dass Palästinenser*innen nicht vertrauenswürdig seien, salonfähig geworden sei, gebe es keinen bedeutenden Unterschied mehr zwischen Rechts und Links, so Benziman.

Die linken Parteien hatten also Positionierungsprobleme und mussten sich neue Themen suchen. Etwa Sozialhilfe. Die interessiert die israelische Öffentlichkeit jedoch herzlich wenig. Stattdessen dominiert im Wahlkampf neben dem Sicherheitsthema die Frage, ob Netanjahu zum vierten Mal Ministerpräsident wird. Deswegen rechnen die beiden Experten mit geringen Chancen für die israelische Linke bei der heutigen Wahl. Dabei gäbe es genug Themen, mit denen sich die linken Parteien befassen könnten. Sei es die Okkupation, der Spagat zwischen Judentum und Demokratie oder der schrumpfende Raum für die Zivilgesellschaft.

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