Kinder für Fremde austragen

Leihmutterschaft findet längst statt – in Schweden wollen Konservative sie legalisieren

  • Birthe Berghöfer, Malmö und Lotte Laloire
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei Cassandra Saleh und ihrem Mann hat es lange gedauert, bis sie endlich schwanger waren. »Ich weiß, wie das ist, keine eigenen Kinder zu bekommen und die Nächte durch zu weinen. Wir haben so sehr gekämpft und irgendwann begonnen, uns über Leihmutterschaft zu informieren«, erzählt sie der schwedischen Nachrichtensendung »Agenda«. Dann hat es plötzlich auf natürliche Weise geklappt. Doch die Erfahrung des lange unerfüllten Kinderwunsches hat dazu geführt, dass Saleh gerne für andere Paare Leihmutter sein möchte. »Einen Teil meines Lebens und meiner Zeit zu geben, um anderen einen Traum zu ermöglichen, das ist, was ich will.« Saleh glaubt, dass es vielen Frauen in Schweden so geht, die jedoch nicht wagen, darüber zu reden.

Frauen, die für andere ein Kind austragen, werden auch als Surrogatmütter bezeichnet. Schwanger werden sie entweder, indem eine ihrer eigenen Eizellen mit dem Samen des Vaters befruchtet wird, so dass die Leihmutter biologisch und genetisch Mutter ist. Oder, wie heute üblicher, die Leihmutter trägt eine Eizelle der Frau aus, die sich das Kind wünscht. Eine Eizelle von Letzterer wird durch In-vitro-Fertilisation im Reagenzglas mit Sperma des Vaters befruchtet und dann in die Gebärmutter der Surrogatmutter eingesetzt.

Da in den meisten europäischen Ländern Leihmutterschaft verboten ist, wenden sich unfreiwillig kinderlose Paare oft an Kliniken und Vermittlungsagenturen in Staaten, die diesen Weg zum Kinderglück erlauben - darunter die USA, Ukraine und Georgien. Im schwedischen Gesundheitssystem ist das Verfahren zwar verboten, aber es ist nicht strafbar. Die Rechtslage ist uneindeutig. Die bürgerlich-konservative Partei Moderaterna lancierte diesen Sommer deshalb unter dem Slogan »Mein Bauch, meine Wahl, euer Kind« eine Kampagne für die Legalisierung der altruistischen Form von Leihmutterschaft. Man brauche ein neues Regelwerk, denn dass Kinder durch Surrogatmütter geboren werden, sei Realität und diese Kinder befänden sich meist in rechtlich unsicheren Verhältnissen, so Filippa Reinfeldt von Moderaterna. Auch die grün-liberale Centerpartiet und die Partei Liberalerna sowie die gemeinnützige Organisation für sexuelle Aufklärung RFSU unterstützen den Vorstoß. Die an der Regierung beteiligten Grünen sind sich uneinig, die Regierungsmehrheit der Sozialdemokraten ist dagegen, ebenso wie die Linken. Auch ein Großteil feministischer Gruppen, darunter die Partei Feministiskt Initiativ, spricht sich gegen Leihmutterschaft aus, egal in welcher Form. Es ist insbesondere die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers und der Fähigkeit zu Gebären, die für viele gegen eine Legalisierung spricht. Bezahlte Arrangements trügen zur Ausbeutung von Frauen in ökonomisch schlechten Verhältnissen bei. Aber selbst, wenn - wie bei altruistischer Leihmutterschaft - kein Geld im Spiel ist, sei es schwer sicherzustellen, ob dies tatsächlich freiwillig und ohne finanziellen und emotionalen Druck vollzogen werde. Auch eine eventuell entstehende Beziehung zwischen Schwangeren und Kindern wird oft als Gegenargument herangezogen.

Frauen wollen selbst über ihren Körper bestimmen

Dabei fällt auf, dass neben den Perspektiven der Eltern und den Versprechungen der Branche nur selten jene Frauen zu Wort kommen, die Kinder im Auftrag anderer Paare gebären. Unter den Wenigen ist die Ukrainerin Maria. In einer Reportage der schwedischen Sendung »Uppdrag granskning« erklärt sie, dass sie und ihr Mann aufgrund des Krieges umziehen mussten und Geld brauchten. »Wieder der gleiche, verzweifelte Bedarf nach einer Wohnung«, sagt Maria und bestätigt damit die Befürchtung vieler, ökonomische Gründe seien ein Anreiz. »Ich hoffe, das ist das letzte Mal«, erzählt sie zu Beginn ihrer zweiten Vertretungsschwangerschaft. Wäre Leihmutterschaft auch in Staaten wie Schweden oder Deutschland legal, käme die kommerzielle Form im Ausland wohl seltener vor, sagen Fürsprecher einer Legalisierung. Ein anderes Argument dafür ist urfeministisch und auch für Cassandra Saleh ausschlaggebend: »Wenn man Frauen, die für andere ein Kind austragen wollen, eine Leihmutterschaft verbietet, bestimmt man über deren Körper.« So ist Saleh bereit, ihren Körper für das Kind zweier fremder Menschen bereitzustellen.

Und auch Maria, die zwar aus finanziellen Gründen handelt, hat sich bewusst dafür entschieden. Die weit verbreitete gesellschaftliche Stigmatisierung von Leihmüttern macht ihr zu schaffen. So erzählt sie, dass sie ihre Schwangerschaften oft vor ihrer Umwelt verheimlicht und versteckt. An ihrem Fall werden weitere ethische und rechtliche Fragen deutlich. Beim zweiten Mal war sie mit Zwillingen schwanger, von denen auf Wunsch der genetischen Eltern eins abgetrieben wurde. Durch anschließende Komplikationen verlor sie ihre Gebärmutter. Zwar geht es ihr gesundheitlich wieder gut, doch kämpft sie um Entschädigung dafür, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann sowie für die Zeit der Genesung. Marias Schicksal wirft dringende Fragen auf: Wer haftet bei Komplikationen? Wer entscheidet, oft über geltendes Recht hinweg, ob es zu einer Abtreibung kommt? »Wenn keine Gefahr für mein Leben besteht, dann gibt es auch keinen Grund die Schwangerschaft abzubrechen«, meint Cassandra Saleh. Und was passiert, wenn die Eltern sich trennen, ihre Meinung ändern und plötzlich kein Kind mehr möchten? Aufgrund der juristischen Unklarheiten sprechen sich in Schweden viele Parteien zumindest für eine neue Untersuchung des Themas aus.

Reformbedarf besteht auch in anderen Ländern. Trotz der Nachfrage, etwa durch alternative Familien und rasante medizinische Entwicklungen verbietet in Deutschland das Embryonenschutzgesetz von 1991 künstliche Befruchtung zum Zweck der Leihmutterschaft noch immer. Schon die Beratung zu Behandlungen im Ausland kann bestraft werden. Für eine Legalisierung nicht-kommerzieller Leihmutterschaft setzt sich vor allem die FDP ein. »Der Staat sollte sich aus den intimen Angelegenheiten heraushalten und freie Entscheidungen ermöglichen«, fordern die Liberalen auf ihrer Website. Doch anders als in Schweden erwarten Fachleute von der Großen Koalition nicht, dass sie das heikle Thema noch angehen wird.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.