Hartz IV - ein bisschen weniger böse

Der Arbeitsminister Hubertus Heil stellt Grundzüge seiner Arbeitsmarktreform vor

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 5 Min.

»Sozialstaat« prangt am Freitag dunkelblau auf mintgrün an der Leinwand des Berliner Gasometers Schöneberg. Dahinter umkringelt ein großes Ausrufezeichen und der Zusatz »Neue Zuversicht«. Es ist die Kulisse für die Vorstellung der Ergebnisse des »Zukunftsdialogs« von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Ein Jahr lang ist Heil durch Deutschland getingelt. Bei vier Bürgerforen und einigen Terminen vor Ort wollte er wissen, welche Ängste und Sorgen die Bürger*innen im Bezug auf ihren Arbeitsplatz, aber auch mit Blick auf den Sozialstaat ganz allgemein umtreiben. Am Freitag stellte er dann Schlussfolgerungen vor. Insgesamt 36 Punkte umfasst seine Ideensammlung. Sie tangieren so verschiedene Bereiche wie Weiterbildung, die soziale Absicherung neuer Erwerbsformen wie Clickworker*innen, oder die Zukunft der Sozialpartnerschaft. Vor allem aber hatte Heil im Vorfeld angekündigt, ein neues Konzept für Hartz IV vorzustellen. Doch schaffen es seine Maßnahmen tatsächlich, das Versprechen auf »neue Zuversicht« einzulösen?

Zumindest die Worte, die der Arbeitsminister wählt, sind groß: »Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob das Prinzip, Menschen unter Generalverdacht zu stellen, richtig ist. Oder ob es nicht vielmehr darum geht, Menschen mehr zu ermutigen, zu stärken, ihnen zu helfen.« Er wolle, dass sich niemand schämen muss, wenn er in die Grundsicherung geht, sagte Heil vor zahlreichen Gästen.

Änderung bei Eingliederungsvereinbarungen

Um diese Tonveränderung umzusetzen, will Heil die Eingliederungsvereinbarungen in ihrer heutigen Form abschaffen. »Ein Vertrag auf Gegenseitigkeit, so ist die gute Idee gewesen. Aber in der Praxis ist das leider manchmal «zu einer Art Textbaukasten verkommen mit tonnenweise Rechtsbehelfsbelehrungen», sagte der Arbeitsminister beim Zukunftsdialog. Er wolle, dass das anders organisiert werde. «Das muss nicht verrechtlicht sein, das muss man miteinander auf Augenhöhe machen.» Die beschlossenen Maßnahmen in der Eingliederungsvereinbarung (beispielsweise fünfzehn Bewerbungen pro Woche abschicken) können Grundlage für mögliche Sanktionen sein. Das aufzuweichen könnte in der Tat positive Effekte auf die Zahl der Sanktionen haben. Allerdings regelt die Eingliederungsvereinbarung - zumindest theoretisch - auch Anrechte des Erwerbslosen gegenüber dem Jobcenter, beispielsweise die Zusage einer Weiterbildung. Das würde bei einer Reform auch wegfallen.

Gegenüber «nd» sagte der Arbeitsminister, ein entsprechendes Gesetz zur Entbürokratisierung im SGB-II wolle er nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe auf den Weg bringen: «Dort wird es dann auch um die Eingliederungsvereinbarungen gehen.» Der Koalitionsvertrag sieht Veränderungen bei diesen Vereinbarungen jedoch nicht vor.

Auf anderen Feldern bleibt Heil hingegen hinter den Erwartungen zurück. Zwar will er ran an die Sanktionen, aber im Grunde nur eine einzige konkret abschaffen: die für die Kosten der Unterkunft. «Das hat arbeitsmarktpolitisch überhaupt nichts gebracht», sagte Heil am Freitag. Auch die verschärften Pflichten für die unter 25-Jährigen sollen fallen, weil sie «kontraproduktiv» seien.

Andere Sanktionen, die aber mindestens genauso viel Schaden anrichten können, sollen dagegen bleiben. An keiner Stelle ist die Rede davon, die Höhe der Sanktionen umzugestalten, nicht einmal die einhundertprozentigen Sanktionen sollen wegfallen. Derzeit wird beim dreimaligen Regelverstoß von über-25-Jährigen der komplette Regelsatz gestrichen, mitsamt den Kosten für die Miete. Auch die Krankenversicherung wird dann nicht mehr von dem Jobcenter übernommen. Bei Jüngeren passiert das derzeit schon nach dem zweiten Verstoß. Auf Antrag können Jobcenter zwar Lebensmittelgutscheine gewähren, aber diese sind laut Gesetz eine «Kann-Leistung». Nur Personen mit Kindern im Haushalt haben ein Recht auf sie. Wie um sich zu versichern, sagte Heil zu den Anwesenden: «Damit sie mich nicht falsch verstehen, Ich bin nicht dafür, alle Mitwirkungspflichten aufzuheben.»

Zwei Jahre volle Übernahme der Kosten der Unterkunft

Eine weitreichende Änderung, die Heil für die Grundsicherung plant, betrifft nur diejenigen, die kurze Zeit ins Arbeitslosengeld II fallen. So sollen für die ersten zwei Jahre die Kosten der letzten Unterkunft, egal ob Eigentums- oder Mietwohnung, vollständig vom Jobcenter übernommen werden. «Die eigene Wohnung ist von existenzieller Bedeutung für das Leben. Das ist privat, das ist Familie, das ist Gemeinschaft», sagte Heil. Für die, die nur kurz in Hartz IV rutschen und dann wieder rauskommen, soll es Verbesserungen geben, Langzeitbeziehende haben das Nachsehen.

Ein anderes Thema fehlte hingegen an dem Tag und in dem Bericht gänzlich: Die Regelsatzhöhe. Sozialverbände kritisieren immer wieder, dass der Satz von derzeit 424 Euro künstlich niedrig gerechnet werde. Sie fordern mindestens 150 Euro mehr, um die echten Ausgaben zu decken. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte die Politik in dieser Hinsicht schon angemahnt. 2014 attestierte es, dass die derzeitige Berechnung gerade noch so verfassungsgemäß sei. Mit der Höhe des Harz-IV-Satzes komme der Gesetzgeber «an die Grenze dessen, was zur Sicherung des Existenzminimums verfassungsrechtlich gefordert ist».

Entsprechend zeigte sich der Paritätische Gesamtverband enttäuscht von der «Leerstelle im Bereich der Grundsicherung». «Dass die Regelsätze nicht angepasst werden, ist und bleibt ein ernstes Versäumnis», kritisierte dessen Hauptgeschäftsführer Ulrich Scheider. Auch der sozialpolitische Sprecher von den Grünen, Sven Lehmann, sagte, es sei «völlig unverständlich», dass der Bundesminister keine Ideen zur Überwindung der strukturellen Probleme bei der Ermittlung des Regelsatzes« habe. »Ohne die Frage zu beantworten, wie ein menschenwürdiges Existenzminimum zukünftig ermittelt werden soll, wird der Zukunftsdialog der Überschrift nicht gerecht.«

Auf »nd«-Anfrage, ob mit den Maßnahmen das Versprechen von Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles eingelöst werde, Hartz IV »hinter sich zu lassen«, sagte Heil: »Wir haben mit einer umfassenden Erneuerung der Grundsicherung begonnen.« Er habe mit dem Ergebnisbericht des Zukunftsdialogs skizziert, was die nächsten Schritte seien. »Uns geht es um ein umsetzbares und rechtssicheres Konzept.«

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