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Judenhass bleibt Problem

RIAS Berlin erfasst in der Hauptstadt mehr als zwei antisemitische Vorfälle pro Tag

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) erfasste im ersten Halbjahr 2019 in Berlin insgesamt 404 antisemitische Vorfälle. Das geht aus dem am Donnerstag vorgelegten Bericht der Registerstelle hervor. Gegenüber 2018, als in den ersten sechs Monaten die Stelle 579 Fälle von Judenhass registriert hatte, ist diese Zahl gesunken. Dafür sind vor allem Vorfälle, die sich im Internet ereignet haben, verantwortlich. »Die Zahl der von antisemitischen Vorfällen unmittelbar betroffenen Jüdinnen und Juden blieb hingegen nahezu gleich: Im ersten Halbjahr 2019 handelte es sich dabei um 55 Personen«, heißt es in dem Bericht.

Es sind Fälle wie dieser, der sich am 8. Januar dieses Jahres in Mitte zugetragen haben soll. Einer Frau, die im Bus M27 am Hebräisch telefoniert hatte, wurde von einem Mann die Mütze so gewaltvoll vom Kopf gezogen, dass die Betroffene beinahe von ihrem Sitz fiel. Als sie sich wieder aufgesetzt hatte, fand sie das wütende Gesicht des Mannes wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Er wurde von seiner Begleiterin weggezogen und die beiden stiegen aus. Mitte ist laut RIAS Berlin mit 71 antisemitischen Vorfällen im ersten Halbjahr 2019 der Schwerpunktbezirk, wie auch in den vergangenen Jahren. Es folgen Charlottenburg-Wilmersdorf. Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Neukölln.

Diese Vergleiche seien allerdings mit Vorsicht zu betrachten, da die Zahlen der vergangenen Jahre Nachmeldungen enthalten, die RIAS Berlin erst nach dem Erhebungszeitraum bekannt geworden sind. Nach einem starken Anstieg der besonders rohen und direkten Formen antisemitischer Vorfälle auf 23 im Jahr 2018 ist die Zahl entsprechender Vorfälle im ersten Halbjahr 2019 auf 13 zurückgegangen, blieb jedoch über dem Niveau von 2017, als RIAS neun Fälle bekannt wurden. Die Zahl der antisemitischen Bedrohungen war im ersten Halbjahr 2019 mit 20 bekannt gewordenen Vorfällen etwa auf dem Niveau von 2018 (24) und damit noch deutlich über den neun Bedrohungen, die RIAS Berlin in der ersten Hälfte von 2017 verzeichnen musste, heißt es im Bericht.

»Antisemitismus bleibt ein gravierendes Problem in Berlin, mit dem wir uns nicht abfinden dürfen«, sagt Lorenz Korgel, Ansprechperson des Landes Berlin für Antisemitismus. »Wenn jetzt die Anzahl gemeldeter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr etwas geringer ausfällt, ist dies keineswegs ein Grund zur Entwarnung«, merkt er an. »Wir wissen, dass antisemitische Konjunkturen jederzeit und sehr kurzfristig einen drastischen Anstieg der Vorfallzahlen zur Folge haben können«, warnt Korgel.

Mit 20 gezielten Sachbeschädigungen blieben Vorfälle dieser Art auf etwa gleichbleibendem Niveau wie 2018 (24). Einen deutlichen Rückgang um 30 Prozent verzeichnete RIAS Berlin bei verletzendem Verhalten. Von 435 im ersten Halbjahr 2018 sank diese auf 305 in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Die liegt hauptsächlich an den Fällen, die sich online ereignet hatten. Diese hatten sich mit nun 127 fast halbiert.

Deutlich zurückgegangen ist der Anteil israelbezogenen Antisemitismus’. Diese Form wurde im Vergleichszeitraum 2018 bei fast 52 Prozent der Fälle registriert, im laufenden Jahr galt dies noch für knapp 40 Prozent.

Rund 30 Prozent der Fälle haben nach Analyse von RIAS Berlin einen rechtsextremen Hintergrund, bei etwa zwölf Prozent ist es antiisraelischer Aktivismus, rund acht Prozent kommen aus der sogenannten politischen Mitte, knapp über sechs Prozent sind verschwörungsideologisch motiviert, jeweils 1,5 Prozent Links-Antiimperialistisch und islamistisch. Bei über 41 Prozent konnte die Motivation nicht ergründet werden.

In Berlin erheben verschiedene Institutionen nach unterschiedlichen Kriterien Statistiken zu Antisemitismus. Die 2015 gegründete und vom Senat geförderte Rias sammelt ihre Daten auf Grundlage von Meldungen über das Internet, Beobachtungen und durch die Zusammenarbeit mit Opferberatungsstellen und der Polizei.

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