Ein »Justizskandal«

Mainzer Rechtsanwältin stellt Strafanzeige gegen Richter nach Urteil im Fall Künast

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie es zu dem Beschluss des Berliner Landgerichts kam, der eine Vielzahl von Beleidigungen gegen die Grünen Politikerin Renate Künast als von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen hat, diese Frage stellen sich derzeit viele Menschen. Aus den Kommentaren strotzt purer Hass, oft in Verbindung mit sexualisierten Gewaltandrohungen.

Auch die Mainzer Rechtsanwältin Jessica Hamed sieht die Berliner Entscheidung im Fall Künast äußerst kritisch. Sie spricht gegenüber »nd« von einem »Justizskandal, der so nicht vertretbar ist.« Als Strafverteidigerin sähe sie den Beleidigungsparagrafen im Strafgesetzbuch durchaus kritisch. »Man kann darüber durchaus geteilter Meinung sein, Gerichte haben sich allerdings an das geltende Recht und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu halten, in diesem Fall sehe ich eine Verletzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips.«

Deswegen hat sie am vergangenen Montag Strafanzeige wegen des Verdachts der Rechtsbeugung gegen die Richter und Richterinnen gestellt, die im Fall Künast das Urteil gefällt haben. Unter Juristen sei man einhellig der Meinung, dass eine Fehlentscheidung getroffen worden sei und die nächste Instanz den Beschluss revidieren wird. Das reicht aus Hameds Sicht allerdings nicht aus, sie fordert, die Richter müssten für diesen Beschluss »Verantwortung tragen«. Dass drei Berufsrichter in ihrer Urteilsfindung »so danebenliegen« hält sie für ausgeschlossen. »Über die Gründe für die Entscheidung kann ich nur spekulieren, Pädophilie ist ein emotionales Thema.« Sie hält es für möglich, »dass das Gericht Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Fragen von Beleidigungsdelikten üben wollte«, so die Rechtsanwältin. Mit der Strafanzeige, die klären soll, ob eine Rechtsbeugung vorgelegen hat, hofft sie, die »Selbstreinigungskräfte« der Justiz in Gang zu setzen.

Die Geschichte, um die es geht, ist dabei eigentlich ein alter Hut. 1986 hatten die Grünen in Nordrhein-Westfalen sich für die Straffreiheit von einvernehmlichem Sex zwischen Kindern und Erwachsenen eingesetzt. Eine Entscheidung, die in der Partei heute einhellig bereut wird. Ebenfalls im Jahr 1986 hatte Renate Künast, in einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus, darauf verwiesen, dass beim Beschluss der NRW-Grünen ausdrücklich festgehalten werde, dass »keine Gewalt« bei pädophilen Handlungen erfolgen dürfe. Fast 30 Jahre später griff die »Welt« die Debatte noch einmal auf, zitierte Künast dabei aber nur bruchstückhaft.

Die Berichterstattung der »Welt« wurde vom extrem rechten Blog »Halle-Leaks« aufgegriffen. Unter dem Beitrag des Blogs auf Facebook nahmen Hass und Drohungen gegen Künast dann ihren Lauf. Dagegen wollte sich die Grünen-Politikerin wehren und verlangte von Facebook die Herausgabe von Bestandsdaten der Hass-Kommentatoren.

Ob dies notwendig ist, darüber hatte das Berliner Landgericht zu entscheiden und befand, Künast müsse sich die Beleidigungen gefallen lassen. Die Kommentare seien zwar »teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch« aber »zulässige Meinungsäußerungen«. Als Politikerin müsse Künast »in stärkerem Maße Kritik hinnehmen«, hieß es.

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