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Kein Stein der Weißen
Der ehemals Ayers Rock genannte Berg Uluru ist weltweit berühmt. Doch viel zu viele Touristen bestiegen den heiligen Berg der Aborigines. Damit ist Ende Oktober Schluss.
Hier ist nichts, was normale Reisende in diesen versandeten Teil Australiens treiben könnte. Niemand wird den Drang haben, hierher zu kommen als Tourist.« Klare Worte von Naturforscher Baldwin Spencer. Allerdings schon etwas in die Jahre gekommen - das Zitat stammt von 1912. Heute verspüren jährlich mehr als 300 000 Reisende einen erheblichen Drang zum Uluru. 23 davon sind an diesem Morgen unterwegs mit Ranger Lee Dalton: Sie wollen den Sonnenaufgang am roten Superfelsen erleben, den Berg umrunden und begreifen, welche Bedeutung er in der Kultur der Aborigines hat.
6.30 Uhr, dick eingepackt in Fleece-Jacken, Mützen und Schals steigen die Besucher aus dem Kleinbus. Es ist kalt, nur ein paar Grad über Null. Timm (14) zittert, hat seine Handschuhe vergessen und Glück, dass Lee ihm welche leiht. Warme Farben sind nirgendwo zu sehen. Grau der Himmel, Boden, Büsche und Riesenfelsen verschwimmen in mattbraunem Einerlei. Die Uluru-Besucher trotten los, schweigend. Nach wenigen Minuten wird das Himmelgrau zu Himmelblau - so schnell, als drehe jemand am Farbregler. Fingerzeige in Richtung Horizont, ein erstauntes Raunen geht durch die Gruppe. Noch ist die Sonne nicht zu sehen, trotzdem leuchtet der Uluru plötzlich in so kräftigem Rot-Braun, als sei er binnen weniger Minuten komplett verrostet.
»Das ist er ja genau genommen seit Millionen Jahren«, erklärt Lee beim ersten Stopp. Eigentlich sei der Uluru nämlich langweilig grau, habe aber einen Eisenoxidüberzug und sehe daher aus wie ein rostiger Metallklumpen, erklärt der Ranger. Und macht gleich darauf klar, dass er so eine Art Old Shatterhand der Aborigines ist: kein Ureinwohner, aber doch Blutsbruder - der weiße Kämpfer für ihre Sache. »Wisst ihr, was das ist?«, fragt er herausfordernd in die Runde und zeigt auf den Boden. »Gras« sagt ein amerikanischer Besucher, leicht verunsichert ob dieser schlichten Frage.
»Ja, Rhodesisches Büffelgras«, antwortet Lee mit schnarrender Stimme, »angepflanzt nach dem großen Feuer 1976.« Damals hätten die weißen Parkverwalter gedacht, die ursprünglich hier wachsenden Pflanzen seien vernichtet. »Dabei brauchen die nur winzige Wassermengen, um wieder zu wachsen«, ereifert sich Lee und schimpft über die Ahnungslosigkeit damaliger Park-Ranger. Denn das Büffelgras habe sich seitdem vermehrt wie eine Krankheit, es nimmt vielen einst hier heimischen Pflanzen den Lebensraum. »Kein Feuer, kein Gift wirkt gegen dieses Gras, deshalb lassen wir es jetzt von freiwilligen Helfern mit Stumpf und Stiel rausrupfen«, wettert er.
Inzwischen erscheint die Sonne überm Horizont, projiziert lange Schatten der Uluru-Wanderer in den roten Wüstensand. Zeit für die Frühstückspause auf einem Felsplateau. Und für Lees Geografieunterricht. Ohne Tafel und Kreide, ohne Laptop, aber mit Händen und Füßen beschreibt der Ranger, wie der Uluru einst entstand. Er kritzelt mit einem Stock ein zerbeultes Osterei in den Sand: »Zuerst war da ein Schlammklumpen aus Quarz-Sandstein und Feldspat, vor 600 Millionen Jahren«, doziert er. Der sei unterirdisch zusammengebacken und wie in einer Waschmaschinentrommel von Erdbewegungen hin- und hergedreht, geknetet, gepresst, wieder gedehnt und irgendwann nach oben gedrückt worden. Eine Vulkanexplosion habe es da gegeben, neun Kilometer hoch, sagt Lee, und blickt in den Himmel, so als sei er als Urzeitseismologe dabei gewesen. 348 Meter hoch ragt der Inselberg seitdem auf. Das sieht man dem Uluru nicht an, weder aus der Ferne, noch ein paar Schritte neben ihm auf dem Rundweg.
»Ab hier nicht mehr fotografieren«, bittet Lee ein paar Schritte weiter und weist auf eine der Kultstätten der Anangu-Aborigines hin. Jede davon ist mit einer heiligen Geschichte aus der - Tjukurpa genannten - Mythologie verbunden, stets spielt der Felsen darin eine Rolle - etwa als Geburtsstätte für Aborigines-Mütter. Oder als sagenhafter Ort, an dem sich angeblich der Streit zweier Schlangen-Clans abgespielt hat: Kuniya, eine Python ist dort von Lirus - Schlangen eines verfeindeten Stamms - getötet worden. Kuniyas Tante, auf Rache sinnend, hat die Lirus daraufhin mit Speeren bekämpft und einer gegnerischen Python schließlich den Kopf gespalten. »Da, schaut«, sagt Lee und deutet auf ein Uluru-Felsenstück. Es sieht ohne viel Fantasie aus wie ein Monsterschädel mit Riesenkerbe. Gleich daneben: witterungsbedingte Löcher im Felsen, der Sage zufolge jedoch Einstiche der Speere.
Tierimporte als Plage
Heute morgen ist hier keine Schlange zu sehen. Nur eine streunende Katze. »Die haben die Siedler eingeführt, inzwischen sind sie eine Landplage, denn sie haben hier keine Feinde«, sagt Lee und beklagt, Katzen hätten die Malas, eine kleine Känguru-Art, fast ausgerottet. Nicht der einzige Tierimport mit weitreichenden Folgen: Das erste Kamel wankte, halb tot von der Überfahrt aus Teneriffa, am 12. Oktober 1840 von einem Schiff. Heute stolzieren geschätzte zwei Millionen Höckertiere »down under« herum - vermehren sich ungebremst. »Auch sie haben keine natürlichen Feinde, aber viel Hunger und fressen anderen Tieren die Nahrung weg«, sagt Lee und bilanziert: Von 22 Säugetierarten rund um den Uluru sind heute nur noch 14 vorhanden.
Eine Erblast aus der Verwaltungszeit der Weißen. Die endete am 26. Oktober 1985. »Ayers Rock«, so der damalige Name, benannt nach einem Gouverneur, wurde vom obersten australischen Bundesgericht mitsamt umliegendem Nationalpark an die Ureinwohner zurückgegeben. Die Anangu verpachteten diesen - gemäß Abkommen - daraufhin für 99 Jahre an den australischen Staat, übernahmen selbst die Verwaltung und änderten den Felsennamen in »Uluru«.
Seitdem haben ihn viele Besucher besteigen - obwohl in Videos, auf Plakaten und in Broschüren die Aborigines darum baten, es nicht zu tun, da er für sie ein Heiligtum ist. »170 000 Besucher ignorieren das jährlich trotzdem«, erzählt Lee am Tor zum Klettersteig, »etwa 200 davon mussten pro Jahr von Park-Rangern gerettet werden - sei es, weil sie zu wenig Wasser mitnehmen, einen Sonnenstich kriegen oder in Gummischuhen hochkraxeln, die ihnen in sengender Hitze unter den Füßen wegschmelzen.« Doch damit ist nun Schluss. Denn ab 26. Oktober darf niemand mehr hochkraxeln, 34 Jahre nachdem die Aborigines ihren Felsen zurück erhielten.
In der gleißenden Mittagssonne sieht der Uluru nun dunkelbraun, fast verkohlt aus. Die Besucher suchen Schatten, sie verabschieden sich vom mythischen Monolithen, wollen ihm abends einen letzten, besonders faszinierenden Besuch abstatten - aus der Ferne, beim »Sounds of Silence-Diner«: Auf einem Hügel im Nationalpark wird der Begrüßungschampagner serviert, während der Uluru, gut zehn Kilometer entfernt wie ein Findling in der Steppe liegend, seine letzte Metamorphose im Sonnenuntergang macht: Zuerst in Richtung weinrot, dann nachtgrau. Seine Fans knipsen mit der einen Hand jede Farbnuance und knabbern mit der anderen an Häppchen aus Krokodilfleisch an Macadamianüssen.
Dann pilgert die Gesellschaft an weiß gedeckte Tische mitten in der Wüste, um dort Schildkrötensuppe mit Limonengeschmack, Emu-Filet, Caesar-Salad mit Kängurufleisch und Barramundi-Filet zu genießen. Ein Didgeridoospieler untermalt das Essen mit nörgelnden Klängen, eine Astronomin erklärt bei totaler Dunkelheit den Sternenhimmel und entführt die Gäste vom roten Felsen zum roten Planeten: »Würdet ihr eure Weinbestellung da oben hinschicken, bräuchte sie acht Jahre. Die Antwort der Mars-Menschen noch einmal acht Jahre für den Rückweg. Aber Wein hättet ihr nach 16 Jahren immer noch nicht auf dem Tisch. Denn die Antwort würde vermutlich lauten: Rotwein oder Weißwein?«
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