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Militanter Protest in Mexiko
Feministinnen gehen gegen Frauenmorde und für das Recht auf Abtreibung auf die Straße
Der Fortschritt bei den Frauenrechten in Mexiko ist eine Schnecke. Seit 25. September ist im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca Abtreibung legal. Das Parlament hat dort den Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche legalisiert. Bisher waren Abtreibungen nur in Mexiko-Stadt erlaubt. Dass zwölf Jahre später ausgerechnet Oaxaca mit der Legalisierung nachzieht, ist bemerkenswert. Der Bundesstaat gehört zu den ärmsten Regionen des Landes und verzeichnet einen hohen indigenen Bevölkerungsanteil. Evangelikale Kirchengemeinden hatten sich ebenso gegen das Vorhaben ausgesprochen wie der Erzbischof von Oaxaca höchstpersönlich.
Es ist ein Etappensieg für die mexikanische Frauenbewegung, der Weg zur Wahrung grundlegender Rechte ist freilich noch lang. In 16 Städten fanden im Rahmen des internationalen Tags für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen Demonstrationen statt. In Mexiko-Stadt hinterließen feministische Aktivistinnen eine Schneise der Zerstörung. Diese neue, aggressivere Form des Protests sorgte bereits im vergangenen Monat für internationale Schlagzeilen. Als Reaktion auf unabhängig voneinander bekannt gewordene Fälle von Minderjährigen, die berichteten, von Polizisten in Mexiko-Stadt vergewaltigt worden zu sein, säumten im August pinker Glitzer und zerbrochenes Glas den Asphalt.
Eine 16-Jährige gab an, während ihres Praktikums im Museum Archivo de la Fotografía von einem Polizisten vergewaltigt worden zu sein. Eine 17-Jährige sagte aus, dass sie nachts auf dem Heimweg nur zwei Straßen von ihrem Zuhause im Norden der Stadt von vier Polizisten in deren Patrouillenwagen vergewaltigt wurde. Wie die mexikanische Tageszeitung »El Universal« berichtete, wurde bei der Aufnahme der Beweise nicht ordnungsgemäß vorgegangen und somit ein ordentlicher Gerichtsprozess verhindert. Zudem wurde ihr Name an die Presse weitergegeben. Dies sind keine Einzelfälle, aber sie brachten das Fass zum Überlaufen.
An einem Montag demonstrierte zunächst eine überschaubare Gruppe von Frauen vor dem Amt für städtische Sicherheit in Mexiko-Stadt gegen Polizeigewalt und für die Aufklärung sowie die Bestrafung der Täter. Dabei wurden der zuständige Sekretär Jesús Orta Martínez mit pinkem Glitzer beworfen, eine Glastür zerstört und ein Schweinekopf aufgehängt. Die Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, Claudia Sheinbaum, betonte noch am gleichen Tag in einer Pressemitteilung, dass der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen bereits Teil des Regierungsprogramms ist. Zugleich nannte sie die Proteste eine Provokation. Sheinbaum gehört der sozialdemokratischen Regierungspartei Morena von Präsident Andrés Manuel López Obrador an und ist die erste Frau, die es in Mexiko-Stadt zur Bürgermeisterin gebracht hat.
Die Aussage von Sheinbaum dürfte die erstaunliche Schnelligkeit der spontan und dezentral organisierten Antwort angefacht haben, denn sollte der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen Teil des Regierungsprogramms sein, lassen Ergebnisse auf sich warten: 2019 wurden bereits 10 000 Vergewaltigungen angezeigt und im Schnitt werden zehn Frauen pro Tag ermordet. Innerhalb kürzester Zeit wurde in über 30 Städten Mexikos zu neuen Protesten aufgerufen.
Bilder mit pink glitzernden Fäusten wurden als Nachrichten weitergeleitet und die Gruppe Resistencia Femme teilte den Aufruf via Facebook unter dem Hashtag »Sie schützen mich nicht, sie vergewaltigen mich« und »Wir wollen Gerechtigkeit!«. Am Morgen der Demonstration veröffentlichten sie einen Brief, welcher unter anderem an die Bürgermeisterin Sheinbaum und den Sekretär für die städtische Sicherheit Orta gerichtet war. Dabei prangerten sie die Unfähigkeit der Regierung an, »diejenigen zu ermitteln und zu bestrafen, welche die Menschenrechte der Frauen verletzen« und erklärten, »unsere Proteste entstehen, weil es der Staat selbst ist, der durch die Streitkräfte die Straftaten des sexuellen Missbrauchs begeht, die Täter schützt und die Opfer zum Schweigen bringt und erniedrigt.«
In Mexiko-Stadt war kurz nach Beginn der Demonstration in einem brennenden Kreis auf dem Boden der Satz »Strafverfolgung zu verlangen, ist keine Provokation« zu lesen. Dazu rief eine schwarz vermummte Frau mit Spraydose in der Hand laut »Dieser Protest wird ein Spektakel« und setzte damit das Motto für diesen Abend. Vermummte Frauen schmissen die Scheiben zweier Busstationen ein, welche sie vorher mit Graffiti überdeckt hatten, und zündeten kleine Feuer. Das alles direkt gegenüber dem Amt für öffentliche Sicherheit. Neben pinkem Glitzer in der Luft wurden mehrere Feuerwerkskörper auf das Gebäude abgefeuert. Meist wurden diese Aktionen von den rund 2000 vornehmlich jungen Demonstrantinnen (Männer wurden konsequent aus dem Demozug rausgeschmissen) mit Grölen und Applaus unterstützt, nur selten wurden die Aktionen von Teilnehmerinnen lautstark kritisiert. Die Polizei griff nicht ein und männliche Polizisten wurden erst gar nicht sichtbar aufgestellt. Erst als auf dem Weg zum Monument der Unabhängigkeit eine Polizeistation nicht nur demoliert, sondern auch angezündet wurde, griff die Feuerwehr ein.
Wie zu erwarten, schossen sich auf den darauffolgenden Tagen Berichte der Presse sowie Diskussionen in den sozialen Medien auf den Vandalismus ein und es wurde wenig auf die Forderungen der Frauen eingegangen. Feministische Gruppen berichten, dass sie neben den alltäglichen Attacken nun noch heftigeren Angriffen ausgesetzt sind. Einige setzen weiterhin auf den Austausch mit Bürgermeisterin Sheinbaum, doch die gewaltige Präsenz der Frauen auf der Straße zeigte eine neue Kraft des Widerstandes. Und die folgende Demonstration hat illustriert, dass diese neue Form des Protests beibehalten wird.
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