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Rassismus als Mittel und Zweck
In Italiens Fußballstadien herrscht weiterhin viel Fremdenfeindlichkeit. Nicht immer allerdings steckt nur eine rechte Gesinnung dahinter.
Es ist eine gute Woche her. Am 3. Oktober spielte Lazio Rom in der Europa League, als sich einige Fans zum sogenannten römischen Gruß erhoben. Ein Symbol des faschistischen Italiens. Die UEFA leitete eine Untersuchung ein, und Lazio, das seit Jahren rechte Gruppen im Fanblock stehen lässt, entschuldigte sich zumindest offiziell. »Wir wollen die Personen identifizieren und sie in Zukunft aus dem Stadion fernhalten«, hieß es in einem Kommuniqué. Die Besserung, die der Klub da gelobte, ist allerdings kaum glaubhaft.
Mitten im Block wehte an jenem Donnerstag auch eine große Fahne, die an »Diabolik« erinnerte. Der Mann, dessen bürgerlicher Name Fabrizio Piscitelli war, wurde im August auf offener Straße getötet. Er war Anführer des Lazio-Fanklubs der Irreducibili - und zugleich bekannt für Drogendelikte und seine Sympathie für die neofaschistische Partei Forza Nuova (FN), die bereits in den 1990er Jahren einige Fankurven erobert hatte. Unter den Ultras rekrutierte die Partei Ordner für Versammlungen und Aufmärsche. Einzelne Ultraanführer starteten als FN-Vertreter sogar politische Karrieren in Stadtverwaltungen und -parlamenten in Rom, Verona sowie anderen Städten Norditaliens.
2017 zählte das beim Innenministerium angesiedelte Nationale Observatorium zur Beobachtung von Sportveranstaltungen unter 328 organisierten Fangruppierungen 151 politisch aktive, von denen 40 der extremen Rechten und 45 der gemäßigteren Rechten zugeordnet wurden. Als rechts geprägt oder zumindest rechts unterwandert gelten in der Serie A die Fanszenen von Lazio und AS Rom, Inter Mailand, Atalanta Bergamo und Hellas Verona. In Cagliari gab es lange Zeit den rechtsaffinen Klub der Furiosi. Im dortigen Stadion ertönten zum zweiten Spieltag in dieser Saison Affenlaute gegen Romelu Lukaku. Der Inter-Stürmer wehrte sich dagegen, baute sich vor der Kurve auf und forderte später auf Instagram andere Spieler auf, sich gegen solche Vorfälle zu wehren. »Es ist 2019. Doch statt nach vorne zu gehen, bewegen wir uns zurück. Ich denke, wir Spieler müssen uns zusammenschließen und eine Erklärung zu diesem Thema abgeben, um das Spiel sauber und angenehm für alle zu halten«, postete der belgische Nationalspieler.
Großen Erfolg hatte seine Aufforderung nicht. Die Teamkollegen versuchten, ihn zu beruhigen, der Schiedsrichter hatte weiterspielen lassen, als sei nichts geschehen, Cagliari kam um eine Strafe herum. Und sogar einige Fans von Inter versuchten Lukaku zu erklären, dass die Affenlaute keine rassistische Beleidigung, sondern Ausdruck von Furcht und Respekt vor seinem Leistungsvermögen seien. »Wir verstehen, dass es als rassistisch empfunden werden konnte, aber so ist es nicht. Auf diese Art und Weise wollen wir in Italien nur unseren Teams helfen und die Rivalen nervös machen«, schrieben die Fans auf ihrer Facebook-Seite und versicherten, dass sie keine Rassisten seien.
Es war eine bizarre Momentaufnahme des Seelenlebens organisierter Fans. Affenlaute und Buhrufe wurden als integraler Teil des Kurvenalltags beschrieben. Und die eigene Verblendung reichte dann sogar so weit, die rassistischen Anteile an den Beleidigungen nicht zu erkennen, und Beleidigungen überhaupt für völlig normal, ja für wünschenswert zu erachten.
Diese Mentalität ist nicht nur in den Kurven ausgeprägt, sondern auch auf den Trainerbänken. Als am vierten Spieltag der Serie A der Schiedsrichter die Partie Atalanta Bergamo gegen den AC Florenz unterbrach, weil Bergamos Anhänger den Fiorentina-Profi Dalbert rassistisch beleidigt hatten - die Unterbrechung war übrigens ein Novum im italienischen Fußball - spielten die Trainer aus Florenz und Bergamo den Vorfall herunter. Atalantas Coach Gianpiero Gasperini hatte »selbst nichts gehört«, Florenz’ Trainer Vincenzo Montella kokettierte damit, dass er selbst Beleidigungen wegen seiner Herkunft aus Neapel ignoriere.
Schlimmer noch agierte Giovanni Malagò, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Italiens. Nachdem eine Kleinfeld-Fußballmannschaft der Frauen aus Padua beschloss, eine ihrer Mitspielerinnen, die zugleich Politikerin der rechten Partei Fratelli d’Italia ist, wegen ihrer rassistischen Tweets gegen Migranten vom Spiel- und Trainingsbetrieb auszuschließen, verurteilte Italiens oberster Olympier nicht die Tweets, sondern den Ausschluss der mutmaßlichen Rassistin. Der stehe in »krassem Widerspruch zu den Werten des Sports«, tönte Malagò und pries den Sport als politisch neutrales Feld, das alle einschließen müsse. Also auch Rassisten.
Nicht jede rassistische, antisemitische oder faschistische Äußerung von Fans innerhalb und außerhalb der Stadien hat allerdings politischen oder ideologischen Hintergrund. Manchmal fallen rassistische Parolen auch, weil Fangruppen die Klubs, die sie vorgeblich unterstützen, erpressen wollen. Das wurde bei der Operazione »Last Banner« in Turin im September deutlich. Zwölf Fananführer von Juventus wurden verhaftet. Ihnen wird vor allem Erpressung des Klubs, aber auch illegaler Tickethandel vorgeworfen. Aus den Akten von »Last Banner« geht hervor, dass sie rassistische Chöre androhten, um mehr Freitickets zu erhalten, aber auch, um Freigetränke im Stadium herauszuschlagen. Bei Treffen bedrohten sie den Fanorganisator von Juventus: »Wir werden euch den A... aufreißen. Ihr werdet bezahlen müssen«, war in abgehörten Gesprächen zu hören. Sie freuten sich sogar darüber, dass ihre Kurve für zwei Spieltage der vergangenen Saison gesperrt worden war, denn sie hofften, dass der Druck auf den Verein so groß werde, dass er ihren Forderungen nachgeben müsse.
Um dem Problem Herr zu werden, müsste Italiens Sport zweigleisig fahren. Die Ultras müssen zum einen transparenter in die Klubaktivitäten eingebunden werden, damit das Mittel der Erpressung durch etwaige Sanktionen an Attraktivität verliert. Zum anderen muss bei rassistischen Vorfällen schon auf dem Platz radikal durchgegriffen werden. Wie bei Bergamo gegen Florenz geschehen, müsste bei jedem Vorfall das Spiel unterbrochen, und bei Wiederholungen auch abgebrochen werden, bis in jedem Kopf der Unterschied zwischen sportlichem und unsportlichem Verhalten klar ist.
So weit ist Italiens Sport aber noch lange nicht. Auf den ersten Blick mag es Hoffnung geben, dass der Antirassismus-Beauftrage der italienischen Regierung, Triantafillos Loukarelis, fürs nächste Jahr die Einrichtung eines Rassismusbarometers im Fußball angekündigt hat. Das Problem dabei: So etwas gibt es bereits. Seit 2001 sammelt das Osservatorio del razzismo nel calcio, das vom römischen Sozialwissenschaftler Mauro Valeri initiiert wurde, Daten über rassistische Vorfälle. Mehr als 800 notierte man dort bis 2016. Zu einer Verbesserung der Situation hat all das Zählen aber nicht geführt. Und Loukarelis wusste offenbar nicht einmal davon.
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