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»Wir müssen uns vom IWF unabhängig machen«

Alberto Acosta sagt im Interview, dass die Rücknahme der Treibstoffpreiserhöhungen in Ecuador nicht ausreicht

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 8 Min.

Alberto Acosta war 2008 Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors und 2007 in der ersten Legislaturperiode von Rafael Correa Minister für Energie und Bergbau. Er setzte sich für die Yasuní-ITT-Initiative ein, die vorsah, das Erdöl im ecuadorianischen Naturschutzgebiet Yasuní im Boden zu lassen. Nach etwa einem Jahr überwarf er sich mit Correa, weil dieser den Prozess bei der Ausarbeitung der Verfassung als zu langsam kritisierte. Seither ist Acosta einer der schärfsten Kritiker von Rafael Correa.

Herr Acosta, wie haben Sie in den letzten Tagen die Proteste in Quito und die von Präsident Lenín Moreno verhängte Ausgangssperre erlebt?

Ich bin erst seit zwei Tagen wieder im Land, da ich verreist war. Aber ich fühle mich wie ein Geist, gefangen in einer Flasche. Seit meiner Ankunft konnte ich nicht zu meinem Haus in Quito fahren. Zunächst wurde ich am Flughafen festgehalten, dann wurde es mir gewährt, in ein Nachbardorf in der Nähe des Flughafens zu fahren. Hier harre ich jetzt bei einem Bekannten aus. Weder ein Telefon, noch meine E-Mail funktionieren.

Am 2. Oktober hatte Moreno die Subventionen für Treibstoffe gestrichen, um Forderungen des Internationalen Währungsfonds zu erfüllen, von dem Ecuador einen Milliardenkredit erhalten hatte. Weil Benzin und Diesel daraufhin bis zu 100 Prozent teurer wurden, demonstrierten Zehntausende Menschen in der Hauptstadt und landesweit. Am Sonntagabend kam die Nachricht, dass Moreno die Treibstoffpreiserhöhungen rückgängig machen will und die Indigenen bei einer neuen Regelung beteiligen will. Normalisiert sich die Lage angesichts dessen wieder?

Ja, aber der Transport funktioniert noch nicht überall. Deswegen kann ich zum Beispiel noch nicht nach Hause fahren. Vielen Menschen in Ecuador geht es genau so und sie stecken irgendwo fest. Ich hoffe aber, dass sich das in den nächsten Stunden ändern wird.

Wie bewerten Sie die Entscheidung Morenos, mit den Indigenen in den Dialog zu treten?

Es ist ein riesiger Erfolg des Protests, dass die Treibstoffpreiserhöhungen zurückgenommen werden sollen. Und es ist gut, dass der Präsident mit den Indigenen in Dialog tritt. Doch das alleine reicht nicht. Es muss tiefergehende Gespräche geben, auch mit anderen Vertretern der Gesellschaft. Wir müssen den weiteren Prozess sehr genau beobachten. Moreno hat in seiner Amtszeit schon zwei Mal Dialoge mit der Zivilgesellschaft geführt und danach trotzdem seine neoliberale Politik fortgesetzt. Was die Indigenen betrifft, ist ganz klar, dass sie gestärkt aus den Protesten herausgehen und ihr Kampf gegen die neoliberale Politik weitergehen wird. Es steht viel auf dem Spiel: letztendlich geht es um die Entwicklung der Demokratie des Landes.

Alberto Acosta, ehemaliger Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors.
Alberto Acosta, ehemaliger Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors.

Wie erklären Sie sich die Gewaltexzesse bei den Protesten?

Ich kann nicht sagen, wer hinter der Eskalation der Gewalt steckt. Aber um diese Frage zu beantworten, muss man sich fragen, wem die Gewalt nützt. Im Falle des Rechnungshofes, der angezündet wurde, nützt dies den Anhängern von Ex-Präsident Rafael Correa. Denn dort könnten die Dokumente liegen, die Correa der Korruption beschuldigen. Es kann aber auch sein, dass es unter den Demonstranten verdeckte Soldaten gab, welche die Situation gezielt anheizen und ein Chaos auslösen wollten.

Correa selbst hat über seinen Twitteraccount unzählige Videos von brennenden Häusern und anderen Gewaltakten verbreitet. Gleichzeitig rief er dazu auf, nicht zur Gewalt zu greifen. Wie bewerten Sie seine Rolle bei den Protesten?

Correa will das Chaos und damit den Sturz der Regierung Moreno erreichen. Es gibt schon mehrere Urteile gegen ihn, wegen Korruption, aber keines der Urteile ist bisher vollstreckt worden. Solange kein Urteil vollstreckt wird, kann er eine Vizepräsidentschaftskandidatur anstreben. Als Präsidentschaftskandidat kann er allerdings nicht mehr antreten, weil die Verfassung von 2008 keine Kandidaten zulässt, die schon zwei Amtszeiten regiert haben.

Wie reagiert die Bevölkerung auf Correas Äußerungen?

In vielen Sektoren der Gesellschaft gibt es große Kritik und die Menschen sind geschockt davon, dass Correa gar keine Skrupel zeigt. Besonders die sozialen Bewegungen, wie beispielsweise die Gewerkschaften, distanzieren sich von Correa.

Einige sagen, die Indigenen stecken mit den Anhängern Correas unter einer Decke. Wie schätzen Sie das ein?

Das ist völlig falsch. Die indigene Bewegung hat Correa schon in seiner letzten Amtszeit für den Ausbau der Förderung der natürlichen Ressourcen stark kritisiert. Immer wieder haben sie Proteste gegen die Regierung Correa organisiert, beispielsweise gegen das Gesetz zum Ausbau und der Intensivierung des Bergbaus.

Warum ist Ecuador überhaupt so hoch verschuldet und braucht spätestens alle zehn Jahre wieder einen Megakredit?

Wenn wir von den Auslandsschulden sprechen, dann sprechen wir von unvergänglichen Schulden. Die Geschichte Ecuadors fußt wie die vieler anderer Länder Lateinamerikas auf der Auslandsverschuldung. Im Fall von Ecuador ist die Sache ganz klar: Schon als wir 1830 die Unabhängigkeit erhielten, waren wir hoch verschuldet. Und die Schulden haben uns immer begleitet.

Wie kann es überhaupt sein, dass ein Land schon zu Beginn seiner Unabhängigkeit hochverschuldet ist?

Die Schulden kamen durch den Unabhängigkeitskrieg. Simón Bolívar musste viel Geld für Waffen ausgeben, um den Krieg gegen Spanien zu gewinnen.

Und von diesem Schuldenberg ist das Land selbst in guten Zeiten nie wieder herunter gekommen?

Das tragische und bedauerliche ist, dass die Schulden oftmals als Konsequenz nach einem wirtschaftlichen Aufschwung gestiegen sind.

Wie kann das sein?

Ein Beispiel: Als die Preise für Erdöl in den 1970er Jahren stark anstiegen, hat sich Ecuador immer mehr verschuldet.

Aber Ecuador exportiert doch Erdöl?

Ja, aber durch den Preisanstieg konnte das Land höhere Kredite aufnehmen. So war es auch in der Regierungszeit von Rafael Correa. Die Schulden sind das Ergebnis von Regierungen, die mit Ressourcen nicht gut umgehen.

Rafael Correa wurde als linker Präsident gefeiert, der sein Land grundlegend veränderte.

Correa ist alles andere als »links«. Aber nicht nur im Fall von Correa sondern auch in dem von anderen Regierungen kann man sagen, dass die reichen Bevölkerungsschichten zu wenig Steuern zahlen mussten und sie sich nicht darum gekümmert haben, die Schulden zurückzuzahlen. Man darf nicht vergessen, dass die Regierung Correa die höchsten wirtschaftlichen Einnahmen in der ganzen bisherigen Geschichte Ecuadors hatte. Es hätten tiefgründige Änderungen realisiert werden können, aber es passierte nicht.

Können Sie dafür noch ein Beispiel geben?

Es hätte eine Umstrukturierung der Wirtschaft eingeläutet werden können. Beispielsweise die Abwendung von der Förderung von natürlichen Ressourcen, stattdessen wurde diese weiter ausgebaut. Correa war der größte Verfechter von Mega-Bergbauprojekten in Ecuador. Hinzu kommt, dass er dem Modus der Akkumulation des Kapitals nichts entgegen setzte. Die Reichen wurden unter Correa reicher, während sich das Leben für die arme Bevölkerung verbesserte. Doch das wurde nur durch die Einnahmen aus der Erdölförderung finanziert, die hoch waren.

Wie ging es unter Moreno weiter, der 2017 als von Correa unterstützter Nachfolger Präsident wurde?

Es gibt eine klare rezessive Situation in der Wirtschaft Ecuadors, seit 2015/2016. Unter der Regierung von Moreno wird die Stagnation spürbar. Es gibt eine Stagnation der Einkommen pro Kopf und der Investitionen im öffentlichen Bereich. Die Konsequenzen, die durch die neoliberalen Programme erfolgen, spürt man jetzt.

Moreno wird jetzt mit den Indigenen in Dialog treten. Welche weiteren Schritte fordern sie, damit der Frieden wieder nach Ecuador zurückkehrt?

Zunächst ein Mal gibt es keinen Weg zum Frieden, sondern der Frieden ist der Weg, wie Mahatma Gandhi gesagt hat. Ich hoffe natürlich, dass die Repressionen aufhören. Aber einen echten Frieden können wir nur erreichen, wenn wir die Abhängigkeit vom IWF aufgeben. Denn Frieden fordert soziale und ökologische Gerechtigkeit, beides geht nur zusammen einher. Deswegen müssen wir auch andere Probleme der ecuadorianischen Gesellschaft angehen, wie beispielsweise den Rassismus, der momentan sehr präsent ist. Das macht sich in Medienberichten und im tagtäglichen Leben bemerkbar.

Lesen Sie hier: Das Zünglein an der politischen Waage. Die indigene Bewegung Ecuadors hat bereits mehrere Präsidenten gestürzt.

Was sind weitere Probleme in der Gesellschaft?

Das Patriarchat. Die Art, wie der Staat mit Repressionen durch Polizei und Militär auf die Demonstrationen antwortete, ist machistisch. Diese Probleme müssen wir angehen, wenn wir tiefgründigen Frieden erreichen wollen.

Sie haben eben gefordert, dass sich Ecuador nicht weiter auf Forderungen des IWF einlässt. Doch wie soll das gehen, wenn das Land auf das Geld angewiesen ist?

Dafür müsste man zunächst eine Reichensteuer einführen, auf besonders hohe Einkommen. Ich finde, jeder der mehr als der Präsident verdient, also mehr als 6000 Dollar im Monat, sollte höhere Steuern zahlen. Zudem müssten die großen Unternehmen mehr besteuert werden. Es gibt hier große Telefonunternehmen, die mehr als 90 Prozent Gewinn machen, im Jahr. In einem Jahr! Das ist eine Barbarei. Des Weiteren sollten solche Geschäfte höher besteuert werden, die langfristig nicht gut für das Land sind, wie die Erdölförderung. Da gibt es enormes Potential. Später müsste man ein System etablieren, das den öffentlichen Transport subventioniert, so dass die ärmeren Menschen nicht von Treibstoffpreiserhöhungen getroffen werden. Es ist nicht so, als gäbe es keine Alternativen. Sie werden nur nicht ernsthaft diskutiert.

Gegner von höheren Steuern argumentieren, dass Unternehmen und Reiche das Land verlassen werden, würden diese eingeführt.

Das ist ein Aspekt des neoliberalen Diskurses, der weltweit immer wieder wiederholt wird, aber er ist falsch. In Norwegen werden die Erlöse durch die Erdölförderung mit 70 Prozent besteuert und die Unternehmen ziehen trotzdem nicht ab, denn sie machen immer noch gute Geschäfte. Die großen Unternehmen machen immer mehr Gewinne, das passiert in Ecuador, in Deutschland und überall auf der Welt.

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