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Samos: Wenn aus Wut Gewalt wird
Streit im überfüllten Flüchtlingslager auf griechischer Insel endet in Feuersbrunst
In den überfüllten Lagern auf den Ägäisinseln wächst der Unmut unter den Bewohner*innen. Auf der Insel Samos entlud sich die Wut und Verzweiflung über die menschenunwürdigen Bedingungen nun in Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Afghanen. Dabei sind mindestens drei Menschen verletzt worden. Der Streit habe sich am späten Montagabend außerhalb eines Flüchtlingslagers in der Stadt Vathy ereignet, teilte die Polizei am Dienstag mit. Nach dem Vorfall brach ein Feuer außerhalb des Flüchtlingslagers aus. Nach Behördenangaben konnte es am frühen Dienstagmorgen unter Kontrolle gebracht werden.
Seit Ende August versuchen die Behörden, Geflüchtete in geschlossenen Lagern zu konzentrieren. Die Bewohner*innen protestieren immer wieder gegen Überbelegung und mangelnde Versorgung. Erst Ende September brannte es nach Protesten gegen die Bedingungen im berüchtigten Lager Moria auf der Insel Lesbos. Das Feuer kostete eine Frau und ein Kind das Leben.
Die Last der sich immer weiter zuspitzenden Situation wiegt schwer auf den über 30 000 Geflüchteten, die auf fünf Ägäisinseln verteilt sind. Der türkische Angriff auf die autonomen Kurdengebiete in Syrien und Erdoğans Drohung, die Grenze gen Europäische Union zu öffnen, dürfte die Lage noch verschärfen. In der vergangenen Woche flüchteten allein 1419 Menschen von der Türkei nach Griechenland. Allerdings schienen diese sich schon länger im Grenzgebiet aufzuhalten und waren offenbar noch vor Beginn der Invasion aus Nordsyrien geflohen.
Die Situation auf den Inseln spitzt sich so immer weiter zu. Im berüchtigten Lager Moria auf der größten Insel Lesbos hat die Überbelegung neue Rekorde erreicht. Nach Angaben des Ministeriums für Bürgerschutz vom 8. Oktober sind mittlerweile 13 166 Geflüchtete in dem auf 2840 Menschen ausgerichteten Camp untergebracht. Ende September kam ein fünfjähriger Junge ums Leben, der vor dem überfüllten Lager in einem Pappkarton schlief und von einem Lastwagen überrollt wurde. In Samos ist die Lage nicht viel besser. Während das Lager für die Beherbergung von 648 Menschen ausgelegt ist, waren dort Mitte Oktober 5825 Bewohner*innen registriert. Auf das griechische Festland dürfen diese nur weiterreisen, wenn die Regierung einer Verlegung zustimmt.
Die im Juli 2019 gewählte rechtskonservative Regierung der Nea Dimokratia hat derweil verkündet, dass sie hart gegen die seit dem Frühjahr wieder vermehrt ankommenden Menschen vorgehen will. Bis Ende 2020 sollen bis zu 10 000 Abschiebungen erfolgen. Während der vierjährigen Amtszeit der linksgerichteten SYRIZA-Regierung gab es insgesamt 1806 Abschiebungen.
Asylsuchende sollen zudem keinen Anspruch mehr auf eine AMKA-Nummer haben. Mit dieser Registrierung wird man in Griechenland unter anderem kostenlos in Krankenhäusern behandelt. Sie soll künftig nicht mehr an Bürger*innen von Drittstaaten vergeben werden, die zwar einen Aufenthaltstitel, aber keine Arbeitserlaubnis besitzen. Zusätzlich wird die Einspruchsmöglichkeit bei negativ entschiedenen Asylverfahren eingeschränkt und somit auch faktisch das Asylrecht. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) soll aus den Entscheidungsgremien verbannt werden und posttraumatischer Stress nicht mehr als Abschiebehindernis gelten. Damit sich die Asylsuchenden dem Behördenzugriff nicht entziehen können, sollen darüber hinaus neue, geschlossene Lager geschaffen und die Verfahren nach Beantragung innerhalb von neun Monaten abgeschlossen werden.
Der Fokus auf die Beschleunigung der Verfahren und Überwachung erklärt auch das radikale Vorgehen gegen die selbstorganisierten Häuser der Geflüchteten in Athen. Seit Ende August wurden allein im Stadtteil Exarchia mehrere besetzte Häuser geräumt, in zwei davon lebten jeweils über 130 Geflüchtete. Die Bewohner*innen waren Familien, deren Kinder seit Jahren in die hiesigen Schulen gingen. Bis auf wenige Ausnahmen handelte es sich um registrierte Asylbewerber*innen.
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