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Brexit und andere Baustellen
Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs werden hart geführte Debatten erwartet
Das wohl drängendste, aktuelle Thema in der Europäischen Union stand zunächst nicht einmal auf der Tagesordnung des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder: Der für den 31. Oktober geplante Austritt Großbritanniens aus der EU. Immerhin haben die mehr als dreijährigen Brexit-Verhandlungen und das zugehörige Chaos im Vereinigten Königreich die verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten enger zusammenrücken lassen.
Das heißt aber nicht, dass sich keine Gräben auftäten. So vertritt etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Briten gegenüber eine deutlich härtere Linie als die auf wirtschaftliche Harmonie bedachte Bundesregierung. Während Kanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Tagen betonte, bis zum letztmöglichen Zeitpunkt für einen geregelten Austritt Großbritanniens verhandeln zu wollen, machte Macron den britischen Premier Boris Johnson öffentlich für den aktuellen »Aufruhr« verantwortlich. Diese Differenz könnte sich nun in der Frage auswirken, ob London erneut eine Verlängerung der Austrittsfrist gewährt werden soll.
Als würden die aktuellen Gespräche zum Brexit nicht schon genug Unwägbarkeit bieten, bergen auch die anderen Gipfelthemen Zündstoff. Da wäre das leidige Thema Geld: Der mehrjährige Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 muss zeitnah beschlossen werden, damit die EU-Gelder tatsächlich ausgezahlt werden können. Die Verhandlungen sind nie einfach, geht es doch um Hunderte Milliarden Euro. Dieses Mal kommt das durch den Brexit entstehende Haushaltsloch hinzu. Außerdem soll die EU in Bereichen wie der Entwicklungs-, Migrations- oder Bildungspolitik künftig neue Aufgaben übernehmen.
Die EU-Kommission hat deutlich gemacht, dass der entsprechende Haushalt nur mit Kürzungen in anderen Bereichen und höheren Beitragssätzen der Mitgliedsländer zu stemmen sei. Nach dem Willen des EU-Parlaments soll es nach Möglichkeit keine Kürzungen geben und Brüssel stattdessen umso mehr Geld von den Mitgliedsstaaten erhalten. Letztere finden seit bald anderthalb Jahren keinen gemeinsamen Nenner. Deutschland und andere »reichere« Staaten lehnen höhere Beitragssätze strikt ab. Vor allem Süd- und Osteuropäer halten nichts von Kürzungen. Wie es ein deutscher Regierungsvertreter mit Blick auf den Gipfel formulierte: »Das wird sicherlich eine lebhafte Debatte.«
Ein Abkommen für die Friedenssicherung
Der Europaabgeordnete Martin Schirdewan über die Bedeutung einer Einigung in den Brexit-Verhandlungen
Ein weiterer Knackpunkt sind die Beziehungen zur Türkei - in gleich mehrfacher Hinsicht. Auf geopolitischer Ebene steht die EU dem Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien ohnmächtig gegenüber. Anfang vergangener Woche - vor der Invasion - scheiterte eine gemeinsame Warnung der EU-Staaten an die Türkei am Veto Ungarns. Eine offizielle Verurteilung des Kriegs gegen die syrischen Kurden gab es erst, als die Kämpfe bereits in vollem Gang waren. Die ungarische Regierung erklärte später, der Türkei könne nicht zum Vorwurf gemacht werden zu versuchen, vier Millionen Flüchtlinge »zurück in ihre Heimat zu bringen«.
Auf ein gemeinsames Waffenembargo gegen die Türkei konnten sich die EU-Länder dagegen nicht einigen. Eine Rolle dabei dürften nicht nur die unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen gespielt haben, sondern auch die Drohung des türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdogan, die Grenzen für Flüchtlinge gen EU zu öffnen.
Eine weitere Debatte wird in der die Frage nach der Aufnahme offizieller EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien erwartet. Besonders im Fall der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien schien mit dem Ende des Namensstreits mit Griechenland vergangenes Jahr das letzte Hindernis aus dem Weg in die EU ausgeräumt. Die EU-Kommission bescheinigte dem Land, alle Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen zu erfüllen. Die Zustimmung der EU-Länder zur Aufnahme der Verhandlungen sollte bei einem Ministertreffen am Dienstag besiegelt werden, scheiterte jedoch am vehementen Widerstand Frankreichs. Diplomaten anderer Mitgliedsstaaten reagierten hinter den Kulissen ungehalten. Auch EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn übte scharfe Kritik: »Das war kein glorreicher Moment für Europa.« Jetzt sollen die Chefs das Thema beim Gipfel ausdiskutieren - neben vielen anderen.
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