- Berlin
- Vattenfall-Klage
Stromnetz vorm Kadi
Landgericht Berlin beschäftigte sich mit Widerspruch gegen Vergabe an kommunalen Betrieb
Erneut musste sich am Donnerstag ein Berliner Gericht mit der Rechtmäßigkeit der Neuvergabe des Stromnetzes durch den Berliner Senat beschäftigen. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall hatte eine einstweilige Verfügung gegen die Vergabe des Stromnetzes an das landeseigene Unternehmen Berlin Energie beantragt. Das Landgericht Berlin nahm daher alle Aspekte des mehrjährigen Vergabeverfahrens, teilweise erneut, unter die Lupe. Mehrfach machte der Vorsitzende Richter am Landgericht, Dirk van Dieken, seine Unlust an dem Verfahren deutlich und sagte Sätze wie: »Ich finde das Verfahren auch nicht gut und weiß auch nicht, was sich der Gesetzgeber dabei gedacht hat, aber wir müssen damit leben.« Er versuchte aber dann, den Sachverhalt »Stück für Stück abzuschichten«.
Bereits 2014 war der bisherige Konzessionsvertrag für Vattenfall ausgelaufen. Seitdem betreibt der Konzern das Netz kommissarisch. Im März dieses Jahres hatte die Vergabestelle, die bei der Berliner Senatsfinanzverwaltung angesiedelt ist, nach einem umfangreichen Vergabeverfahren entschieden, das Stromnetz an den landeseigenen Betrieb Berlin Energie zu vergeben. Eine Entscheidung, die Vattenfall nicht akzeptiert, und deshalb immer wieder das Vergabeverfahren rügte und schließlich gegen das Ergebnis klagte. In allen Verfahren verlor Vattenfall bisher. Im September bot der Konzern schließlich an, das Stromnetz gemeinsam mit Berlin Energie zu betreiben.
Nun meint der Konzern offenbar, mit der Erwirkung einer einstweiligen Verfügung gegen die Neuvergabe ein neues Verfahren gefunden zu haben, um das Netz so lange wie möglich weiterbetreiben zu können.
Als eine wichtige Frage hatten die Richter abzuwägen, ob das landeseigene Unternehmen Berlin Energie, das derzeit über lediglich neun Mitarbeiter verfügt, überhaupt in der Lage ist, ein so großes und komplexes Netz wie das Berliner Stromnetz zu betreiben. Zum Vergleich: Bei der Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin sind derzeit rund 1300 Angestellte zuständig, das Netz zu bedienen und zu steuern.
Die Vertreter des Landes Berlin machten vor Gericht deutlich, dass sie davon ausgehen, einen Großteil der derzeit bei Vattenfall angestellten Fachkräfte zu den gleichen Arbeitsbedingungen zu übernehmen. Vattenfall zweifelte an, dass das für die eigenen Mitarbeiter attraktiv sei. Außerdem sagte Vattenfall-Anwalt Christian von Hammerstein, dass der Konzern Stromnetzgebäude durchaus selber nutzen und Fahrzeuge sowie technische Einrichtungen verkaufen könne - und so dem Neuling Berlin Energie den Start schwermachen könnte.
Strittig war auch die Frage, ob das Vergabeverfahren ausreichend neutral war. Vattenfall argumentiert, dass die damalige Staatssekretärin Margaretha Sudhof und einzelne Senatoren sowohl als Vergabestelle als auch als Bewerber fungiert hätten und daher von Beginn an kein neutrales Verfahren stattgefunden habe.
Für Christoph Rinke von der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin, die sich als Kooperationspartner ebenfalls für das Netz beworben hatte, ist klar, dass Vattenfall kein Partner mehr für Berlin sein kann. »Wir brauchen einen Netzbetreiber, der als verlängerter Arm des Senats eine aktive Rolle übernimmt bei der Umsetzung der Energiewende und bei mehr Mitbestimmung für die Bürgerinnen und Bürger.« Eine Prognose über den Ausgang des Verfahrens traute sich Rinke jedoch nicht zu: »Ich sehe schon ein paar Kritikpunkte am Verfahren, über die ja heute auch kontrovers diskutiert wurde, aber was das für die Entscheidung des Gerichts bedeutet, kann ich nicht einschätzen.«
Der Richter behielt sich indes vor, nach mehrstündiger Verhandlung, einen weiteren Verhandlungstag anzuberaumen. Bis Redaktionsschluss war noch kein Urteil ergangen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.