- Politik
- Bolivien
Die Jugend vermisst eine Zukunftsvision
Bei Boliviens Präsidentschaftswahlen trifft Evo Morales auf wenig überzeugende Herausforderer
Wird es doch noch eng? Vor den Präsidentschaftswahlen am 20. Oktober in Bolivien holt Evo Morales’ konservativer Kontrahent, Carlos Mesa, auf. Das könnte dazu führen, dass es zur Stichwahl kommt. Selbst dass Evos Traum von der vierten Amtszeit platzt, wird nicht mehr ausgeschlossen.
Mit Tränengaswolken endete am Dienstagabend die letzte Wahlkampfveranstaltung von Evo Morales im Cambódromo von Santa Cruz de la Sierra. Jugendliche Demonstranten hatten die Veranstaltung gestört und ihren Unmut darüber kundgetan, dass Morales nach fast vierzehn Jahren im Präsidentenpalast erneut kandidiert. Ähnlich war es dem amtierenden Präsidenten und Vorsitzenden der Bewegung zum Sozialismus (MAS) auch schon ein paar Tage zuvor in der Bergbaustadt Potosí ergangen. Nur die Ursache der Proteste war eine andere. Dort machte ein Teil der Bevölkerung gegen den Präsidenten mobil, weil die lokalen Institutionen nicht an den Gewinnen aus der anlaufenden Förderung von Lithium beteiligt werden sollen.
Der 59-jährige Morales steht unter Druck und das spiegelt sich auch in den letzten Umfragen wieder. Dort führt er nur noch mit 5,3 Prozent vor seinem wichtigsten Kontrahenten Carlos Mesa, Expräsident (2003-2005) und Repräsentant des bürgerlichen Lagers. Mesa kommt auf 27 Prozent, so die von der Universität San Andrés (UMSA) und der Stiftung Jubileo in Auftrag gegebene Umfrage. Doch zehn Prozent Vorsprung und mindestens 40 Prozent der Stimmen braucht Evo, wie der Präsident in Bolivien der Kürze halber nur genannt wird, um eine Stichwahl zu vermeiden.
Ob Morales einen Sieg in der ersten Runde schafft, ist mittlerweile fraglich. In den Umfragen hat er in den vergangenen drei Wochen aufgrund der Brandkatastrophe in Boliviens Amazonasregion mehr als vier Prozent an Zustimmung verloren. Knapp fünf Millionen Hektar Wald gingen in Rauch auf. Weder wurde der nationale Notstand ausgerufen, noch internationale Hilfe angefordert, kritisierte die Umweltaktivistin Silvia Gallegos am 10. Oktober auf einer Kundgebung des »Nationalen Komitees zur Verteidigung der Demokratie« in La Paz. Auch die Armee wurde nicht in Marsch gesetzt, um zu retten, was noch zu retten war, moniert Gallegos. Zehntausende waren in La Paz zusammengekommen, um ihren Unmut über die Regierung kundzutun.
»Das Demokratieverständnis von Evo Morales frustriert mich«
Sozialarbeiter Federico Chipana Vargas sieht bei aller Kritik auch positive Veränderungen unter dem Langzeitpräsidenten
Auch die Umstände von Morales erneuter Kandidatur stoßen vielen Bolivianern bitter auf. Morales hatte per Referendum am 21. Februar 2016 die Bevölkerung aufgefordert, die Verfassung zu modifizieren, um die mehr als zweifache Wiederwahl eines Präsidenten abzusegnen. Doch 51 Prozent stimmten gegen den Antrag. Erst die Verfassungsrichter und die Vertreter des Wahlgerichts ebneten dem Präsidenten den Weg zur Kandidatur. 2018 entschied das Verfassungsgericht, dass die Beschränkung der Wiederwahl gegen die Menschenrechte verstoße. Ein fragwürdiger Entscheid, zumal die Richter dem Präsidenten freundlich gesinnt waren. So argumentiert nicht nur das bürgerliche Lager um Kandidat Carlos Mesa.
Auch unter der Jugend ist die Kritik am Vorgehen der Regierung groß. Ein Banner mit dem Aufdruck »Respekt für die Demokratie« hängt an der UMSA, der Universität San Andrés, in La Paz - daneben eines mit dem Slogan »UMSA gegen den Ecozid«. Angehende Studenten wie die 18-jährige Joselyn Cahuana Mamani halten der Regierung zugute, dass sie der indigenen Bevölkerungsmehrheit deutlich mehr gesellschaftlichen Einfluss gebracht und Bolivien über Jahre eine stabile und wachsende Wirtschaft beschert habe. »Das ist viel mehr als die konservativen Regierungen und die Militärs jemals geleistet haben«, sagt sie und fährt fort: »Aber warum kann Evo nicht loslassen? Wir brauchen neue Ideen, neue Visionen«, meint die junge Frau aus El Alto.
In El Alto hat Evo Morales traditionell großen Rückhalt. Die kurze Fahrt von La Paz in die darüber liegende Boomtown Boliviens führt an unzähligen Plakaten vorbei, auf denen abgeschlossene Infrastrukturprojekte und daneben das Konterfei von Evo Morales zu sehen sind. Dazwischen ist immer wieder die Parole »Evo und das Volk = sichere Zukunft« zu sehen.
Die Wahlstrategen der Bewegung zum Sozialismus (MAS) von Evo Morales setzen auf Kontinuität und auf die wirtschaftliche Stabilität, die die linke Regierung vorzuweisen hat. 4,5 Prozent Wirtschaftswachstum im Durchschnitt der vergangenen knapp 14 Jahren sprechen für sich, auch die Armutsquote wurde dank großzügiger Sozialprogramme, die Bonos, halbiert. Die Kampagne hat schon dazu geführt, dass Carlos Mesa bereits angekündigt hat, von Privatisierungen abzusehen und die derzeitige Regierungslinie beibehalten zu wollen. Mesa, ein Historiker und Journalist, hat das Bolivien bereits von 2003-2005 wenig erfolgreich regiert. Damals musste er für Gonzalo Sánchez Lozada übernehmen, der das Land fluchtartig verlassen musste, nachdem er versucht hatte, die Gasvorkommen gegen den Widerstand der Bevölkerung zu privatisieren.
Der Herausforderer Mesa gilt als gemäßigt, ist kein rechter Neoliberaler und kandidiert für die bürgerliche »Comunidad Ciudadana« (Bürgergemeinschaft). Die eint die Kritik an den paternalistischen Strukturen und dem Hang zum Autoritären der Regierung Morales. Sie fürchtet venezolanische Verhältnisse, sollte die MAS mit Morales erneut gewinnen. Einen Teilerfolg hat sie schon errungen: Es gilt als sicher, dass die MAS ihre Parlamentsmehrheit verlieren wird. Sollte es allerdings zur Stichwahl zwischen Mesa und Morales kommen, dann könnte sich das bürgerliche Lager mit den Konservativen zusammentun und Morales abwählen. Ein Szenarium, das bei der jüngeren Generation nicht unbedingt gut ankommt. So vermisst Joselyn Cahuana Mamani beispielsweise Kandidaten mit Visionen für die Zukunft ihrer Generation.
Die Recherchereise unseres Autors wurde unterstützt von Brot für die Welt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.