Das Gamer-Problem

Michelle Janßen erklärt, wieso es nicht ausreicht, über Horst Seehofer zu witzeln

  • Michelle Janßen
  • Lesedauer: 3 Min.

Gaming, der Begriff ist eigentlich ein Synonym für »Videospiele spielen«. Doch steht er mittlerweile auch für strukturellen Sexismus und rechte Ideologien. Die Gamingszene hat ein Problem und es heißt nicht Horst Seehofer. Vergangenes Wochenende äußerte sich der deutsche Innenminister zum Anschlag in Halle: »Wir müssen die Gamerszene stärker in den Blick nehmen«, sagte er. Seine Aussage rief online binnen weniger Stunden Tausende Reaktionen hervor. Die meisten davon spöttisch. »Animal Crossing hat mich radikalisiert«, schrieb eine Person und projizierte Seehofers Aussage auf das friedliche Videospiel, in dem man vor allem Blumen gießt und Obst sammelt. Besonders Menschen, die professionell auf Youtube und Twitch Spiele spielen, machten sich über Seehofer lustig.

Nun steht man als Person, die die Gamingszene kritisch sieht, vor dem Dilemma, dass man Seehofers Aussage gleichsam gut und schlecht finden muss. Eines ist klar: Die Witzeleien zum Thema greifen zu kurz. Spätestens seit »Gamergate« 2014 – mehrere kritische Frauen und eine nonbinäre Person wurden damals online aus der Szene diffamiert – ist klar: Gaming hat ein Problem. Damals hatten sich Gamergruppen organisiert, um eine Person im großen Stil zu bedrohen. Ähnliche Kommentare wie damals finden sich nun unter den Beiträgen, die die Unschuld der Gamingszene in Frage stellen. Kritiker*innen werden beleidigt und bedroht. Gamer bestehen darauf, dass die Szene friedlich sei.

Zur Person
Michelle Janßen ist Bloggerin, Journalistin und Autorin. Ihre Themen sind Online-Medien und Literatur sowie Fankultur und der Videospielbereich.

Ihre Kommentare beweisen das Gegenteil. Der Artikel »Yes all Gamer« etwa wurde ins Englische übersetzt und auf der Plattform »Reddit« in einem Gaming-Bereich gepostet. Darunter sammelt sich seitdem Hass auf Frauen und Feminismus. Auf Spieleplattformen finden sich weitere Symptome des Problems. So kündigte der Spieleentwickler Jake Roberts Anfang 2019 ein Spiel namens »Rape Day« an. Der geplante Inhalt des Spiels war es, Frauen zu verfolgen und vergewaltigen. Videos davon, wie die im Spiel »Red Dead Redemption II« auftretenden Feministinnen geschlagen werden, häufen sich, und der Spieleplattform »Steam« wird mit Boykott gedroht. Grund ist, dass die Hauptfigur eines angekündigten Spiels eine schwarze Frau sein wird.

Wer voller Ernst sagt, dass die Gamingszene unproblematisch sei, kennt entweder die Szene nicht oder ist Teil des Problems. Doch Horst Seehofer weiß nichts von alledem. Er sagt, dass er die »Gamerszene« beobachten will, okay. Das Problem ist nur, dass es keine homogene »Gamerszene« zu beobachten gibt. Denn die Gamingszene ist eine Ansammlung von Communities, die sich um einzelne Spiele, aber auch um Spieler und Spielerinnen auf Youtube und Twitch sammeln. Zwischen diesen Communities finden und radikalisieren sich Gruppen. Aus Sexismus und Rassismus wird irgendwann Gewalt. Das alles findet online und international statt. Seehofer denkt, man könnte das politisch kontrollieren.

Die, die das wirklich beeinflussen, sind aber Youtuber wie (unter anderem) Erik Range (Gronkh), Florian Diedrich (LeFloid) und Viktor Roth (IBlali). Sie haben sich ihre Zuschauerschaft unter anderem durch Videos über Gaming erarbeitet. Ihre Reaktionen sind das, was in Deutschland zählt, und doch reißen sie nur schale Witze über das Thema und ignorieren das tatsächliche Problem. Sie behaupten, das Ganze sei eine Generalisierung. Nicht alle Gamer sind so, sagen sie. Es sind aber genug.

Die sexistischen und rassistischen Ideologien in Gaming-Communities werden nicht plötzlich ungefährlich, weil man selbst nicht so denkt. Viele argumentieren, dass Gaming ja nicht politisch sei. Aber wenn man in einer Szene ernsthaft die Diskussion führen kann, ob ein Spiel über den Missbrauch von Frauen okay ist, dann hat diese spezifische Szene ein politisches Problem. Und das muss diskutiert werden. Nicht Seehofers halbgare Kommentare.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.