In Weißweingewittern

Adrian Schulz über den Kulturmännerstall Buchmesse

  • Adrian Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich gehe ich nur auf die Buchmesse, um Denis Scheck auf den Gängen lächelnd Beschimpfungen zuzuzischen. Das ganze Kulturprogramm ist mir ziemlich egal, und, wie Margarete Stokowski schon aufgefallen ist, gibt es auch gar nichts mehr gratis; was vorher der einzige Anreiz gewesen war, sich auf Verlagspartys zu schleichen und alte Herren beim Drängeln zu bestaunen. An die Nazis haben sich sowieso wieder alle gewöhnt, und dass die Polizei, als Götz Kubitschek einem Fotografen drohte und ihn als »Made« bezeichnete, nicht Kubitschek, sondern den Fotografen an seiner Arbeit hinderte, ist in einem Land, in dem Faschos bald nur noch in Talkshows ins Gesicht gefilmt werden dürfen, nur allzu erwartbar.

Paradox präsentiert sich der schon angedeutete Kulturmännerstall auf der Buchmesse, weil es da (wenn auch immer teurer) Alkohol gibt, und zwar jeden Tag und überall. Dessen Konsum und seine Folgen kontrastieren mit der berufsbedingt ostentativen Nüchternheit, die in so manchem Beteiligten sogar die Form einer gewissen Zartheit und Sensibilität für Belange und womöglich selbst Belange anderer ausgeprägt haben mag. An den Ständen und auf den Empfängen des Papierkarnevals allerdings begraben auch sie das dann, notgedrungen, feierlich, in der allgemeinen Fahne: der wohl sinnlichsten Ausdünstung eines auch die HeiligekuhKultur steuernden Soldatentums, dessen Offiziere jedem noch so gewöhnlichen Mehrheitsterroristen seine partikulare Ausgrenzungsmoral genehmigen, bei den neu an die Fleischtöpfe drängenden Marginalisierten aber mit schuppigem Zeigefinger auf die Gewährleistung allgemeiner Zugänglichkeit pochen. Umso aggressiver, je schneller ihr Einfluss wegschmilzt.

Den alten Mann mit den roten Äderchen im Gesicht, der mir einst nach ausführlicher Darlegung seiner Trinkgewohnheiten an den Arsch gefasst hatte, sah ich jedenfalls das dritte Jahr in Folge. Ob ihn die anderen, seine und meine Genusskollegen, wohl für peinlich halten, und ob er, der sich das begehrte Fleisch nach Belieben greift, also selbst (und wenn ja, mit welchem wie perversem Genuss?) nur ein Objekt auf ihrem jährlichen Fleischteller darstellt, überlegte ich danach; bis auch schon das obligatorische Buchmessensodbrennen einsetzte und seine brennende Macht spüren ließ.

Dass Drogenkonsum in einer von Widersprüchen strukturierten Gesellschaft einen quasi außerhalb liegenden Raum bereitstellen soll, ist ja auch so ein beliebter Irrtum. Drogen und besonders Alkohol sind vielmehr zentrales Vehikel zur Erzeugung von double binds, also Situationen mit konträrer Befehlslage. Alkohol zu trinken ist in vielen Situationen ein Gebot, das zu verletzen unhöflich wäre. Zugleich lädt seine enthemmende Wirkung zum Verstoß sozialer Normen ein, dank dem man die Täter nachher mit Scham bedrohen kann.

Einzige Lösung: absolute Schamlosigkeit. Auch wenn man so der Verschuldungsdynamik nicht entkommt, und auch wenn dann alle Täter, und sei ihr Vergehen noch so gering, unbewusst sich decken und zusammenhalten müssen. Aber das hat ja sowieso noch nie wen gestört.

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