Zurück in den Wahnsinn
Die deutschen Skirennläufer starten mit neuer Führung in den Winter
In den Sportgeschäften Söldens hängt längst Skibekleidung, die neuen Bretter stehen bereit, und die Regale sind gut gefüllt mit Skischuhen. Aber vom Winter gibt es keine Spur unten im Tal. Im Gegenteil: Es herrschen in diesen Tagen eher spätsommerliche Temperaturen. Oben auf dem Gletscher ist zwar alles bereitet für den Weltcupauftakt der Alpinen - aber nur dank Schneekanonen sind die Riesenslalomrennen der Frauen und Männer an diesem Wochenende gesichert.
Mit Ausnahme ein paar weniger Uneinsichtiger wie des Präsidenten des Österreichischen Skiverbandes, Peter Schröcksnadel, beschäftigt das Thema Klimawandel den Skisport immer mehr. »Extrem viel Kopfzerbrechen« bereiten die schmelzenden Gletscher und extremer gewordene Witterungsbedingungen dem Alpindirektor des Deutschen Skiverbandes, Wolfgang Maier. »Ich finde es fatal, wenn man das noch wegdiskutieren möchte. Die Sportler spüren es, die Trainer spüren es.« Aber der Skirennsport macht weiter wie bisher - oder sogar noch mehr. 45 Rennen stehen in dieser Saison auf dem Plan für die Männer, ein paar mehr als im vergangenen Jahr. Das liegt vor allem daran, dass der Weltverband die alte Kombination aufleben lässt, aber weiter auch auf die neueren Parallelrennen setzt. Das bedeutet in Summe eben mehr Wettbewerbe in einer Saison, die eine kleine Zäsur bedeutet.
Denn vier Protagonisten, die in den vergangenen Jahren den Skisport geprägt haben, sind nicht mehr dabei. Nach den Rücktritten von Marcel Hirscher, Aksel Lund Svindal, Felix Neureuther und Lindsey Vonn werden nun neue Superstars gesucht. Natürlich, sagt Maier, könne man solche Typen »nicht von heute auf morgen ersetzen«. Aber er sieht es auch als Chance für diejenigen Athleten, die zuletzt im Schatten standen. »Es werden neue Gesichter kommen, die den Weltcup beherrschen«, ist er sicher. Wenngleich vermutlich nicht derart, wie es Hirscher seit 2012 getan hat. Der Österreicher gewann achtmal in Serie den Gesamtweltcup und reihenweise kleine Kristallkugeln in den technischen Disziplinen. Svindal, Neureuther und Vonn waren keine Seriensieger - oder keine mehr, aufgrund vieler Verletzungen -, aber sie haben dem Skisport dank ihrer Persönlichkeit zu sehr viel Popularität verholfen.
Für das deutsche Team hat es neben dem Rücktritt von Neureuther noch eine wichtige Veränderung gegeben. Christian Schwaiger übernahm den Posten von Cheftrainer Mathias Berthold, der den DSV verlassen hat und nun unter anderem als Mentalcoach die Fußballer des 1. FC Nürnberg betreut. Schwaiger musste sogleich möglichst schnell die Lücke schließen, die der erfolgreichste deutsche Skirennläufer im Weltcup hinterlassen hat. Natürlich sei Neureuther das Gesicht des Teams gewesen, »aber das Leben geht auch ohne ihn weiter«, geht der bisherige Abfahrtstrainer das Thema pragmatisch an.
Im Fokus steht beim Auftakt Stefan Luitz, der in der vergangenen Saison ziemlich komprimiert alle Hochs und Tiefs eines Sportlerlebens durchgemacht hat: Erster Weltcuptriumph mit dem anschließenden, letztendlich erfolgreichen juristischen Kampf gegen die Aberkennung des Sieges, eine Schulterverletzung und schließlich eine Knieblessur. »Das war die härteste Saison überhaupt«, gibt der 27-Jährige zu.
Eine Veränderung im Trainerteam ist für ihn deshalb nichts, was ihn groß belastet, zumal er die Vorbereitung unter Schwaiger »echt cool« fand und »eine andere Sichtweise« auch mal ganz gut sei. Wobei sich so viel gar nicht geändert haben dürfte. Der Österreicher arbeitet seit 2006 als Weltcuptrainer im DSV und mit Ausnahme von vier Jahren stets mit Berthold als Chef an seiner Seite, zunächst bei den Frauen, später bei den Männern. Am liebsten wäre Schwaiger gewesen, wenn es so geblieben wäre. Weil er aus seiner Zeit beim britischen Verband wusste, was es bedeutet, als Cheftrainer zu arbeiten, strebte er diesen Job »überhaupt nicht« an. Damals erinnert er sich, sei »das Familienleben erledigt« gewesen, deshalb habe er sich »immer gesagt: Den Wahnsinn tu ich mir nicht an.«
Nun steckt er doch mittendrin im Wahnsinn, seit April ist er »extrem viel unterwegs«, weil er sich auch intensiv um den Nachwuchs kümmert. Die Zusammenarbeit mit der Europacupmannschaft hat der 51-Jährige ebenso intensiviert wie dabei geholfen, das neue Reha-Management aufzubauen. Es fiel ihm nicht leicht, die Arbeit mit der Abfahrtsmannschaft aufzugeben. »Diese Gruppe ist extrem zusammengeschweißt mit dem Trainer Christian«, weiß er. Als Schwaiger sie 2014 übernahm, galten Platzierungen unter den besten 20 schon als Erfolg. Fünf Jahre später gibt es zwei Kitzbühel-Sieger und ein Team, in dem ein aus Österreich übergetretener ehemaliger Medaillengewinner »höchstens die Nummer fünf« ist, wie Schwaiger die Position des Neuzugangs aus dem Nachbarland, Romed Baumann, bezeichnet. Deshalb kam für ihn als Nachfolger nur der frühere Hermann-Maier-Coach Andreas Evers infrage. »Es gibt keinen erfolgreicheren Abfahrtstrainer als ihn«, sagt Schwaiger über seinen Landsmann. Keine schlechten Voraussetzungen also.
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