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Bequeme Nachrufer

Der Abschied von Erhard Eppler und das Problem der SPD

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurz bevor an diesem Samstag die Mitgliederstimmen ausgezählt werden und die neue Parteispitze verkündet wird, hatte die SPD den Verlust eines großen Weggefährten zu beklagen. Zum Tode Erhard Epplers vernahm man, wie in solchen Momenten üblich, von überall Dankbarkeit und und sah Verbeugungen. Die Nachrufe aus der SPD erzählten dabei mehr über diese Partei und ihre Probleme als über Eppler.

»Einen großen Vordenker in unseren Reihen«, nannte ihn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, einen »wunderbaren Lehrer«. Generalsekretär Lars Klingbeil sprach von einem »Vordenker & Impulsgeber«, Außenminister Heiko Maas von einem »großen politischen und gesellschaftlichen Vordenker«. Die baden-württembergische Sozialdemokratie, in der Eppler in den 1980er Jahren wirkte, ließ verlauten, man sei »unendlich dankbar für das, was er uns alles gegeben hat«.

Auch Lügen, die aus Höflichkeit und der Umstände halber gesagt werden, bleiben Lügen. So sehr Eppler ja tatsächlich ein Vordenker für die SPD hätte sein können, so wenig hat die Partei ihm diesen Platz eingeräumt. Vordenker kann man Personen nennen, die Programm und Kurs einer Partei über den Horizont der unmittelbaren Zeit hinaus vorbestimmen, prägen, lenken. Die SPD hat es aber ausgeschlagen, auf Eppler zu hören. Wieder und wieder. Ob nun in Fragen der Ökologie oder der Skepsis gegenüber dem Industrialismus, ob es sein global ausgerichtetes Problembewusstsein war oder seine Sensibilität für Möglichkeiten in der Entspannungspolitik, in Abrüstungsfragen - Eppler war seiner Partei eben nicht »voraus«, wie man nun eine Woche lang in den Zeitungen lesen konnte. Denn das hieße ja, sie wäre ihm inzwischen dorthin gefolgt oder schickte sich an, ihm zu folgen. Das aber wird man 2019 nicht sagen können, ohne sich lächerlich zu machen. Eppler verkörperte - zu bestimmten Zeiten - die Möglichkeit einer anderen Sozialdemokratie. Die SPD wollte diese Möglichkeit aber nicht ergreifen. Eppler stand deshalb trotz hervorgehobener Position eher »abseits« der Sozialdemokratie. Und das nicht aus eigenem Verschulden.

1980 schrieb er einen Text über seine SPD als »eine gelähmte Partei«. Die sozialliberale Koalition war in der Krise, »neue Gedanken sind nicht gefragt, gefragt ist reibungslose Administration«, klagte Eppler, der 1974 als Minister zurückgetreten war, weil »seine« Entwicklungspolitik von »seinem« Kanzler Helmut Schmidt torpediert wurde. »Wo man nur Krisenmanagement will, funktioniert schließlich auch dies nicht mehr. An diesem Punkt sind wir.« Und: »Wo es nur um den Vollzug von Sachzwängen geht, ist ein leistungsfähiger Computer hilfreicher als eine traditionsbewusste Partei.« Die SPD machte weiter wie zuvor.

1993 wunderte sich Eppler in einem Sammelband, »wie wenig manche Sozialdemokraten darüber nachdenken, was aus einer Partei des Fortschritts werden muss in einer Zeit, die den Glauben an den Fortschritt aushöhlt und in sich zusammenbrechen lässt.« Die Grundwertekommission der SPD, die er seit Mitte der 1970er Jahre leitete, hatte sich unter seinem Einfluss schon damals von der »Überzeugung, dass die Automatik des wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Fortschritts auch die Durchsetzung humanistischer Werte befördere und garantiere«, verabschiedet. Was aber tat die SPD? »Seit der ersten Hälfte der siebziger Jahre weiß, wer es will, dass Zukunft nicht mehr in der Fortschreibung der Trends bestehen kann, die bis dahin wirksam waren.« Eppler sah darin eine Chance, »nämlich umzusteuern«. Was aber sah die SPD?

Der Soziologe Stephan Lessenich hat es unlängst einen der »Hauptwidersprüche« der SPD genannt, »immer die Partei der lupenreinen Kohlenstoffdemokraten, der Verteidigung eines industrialistischen Wachstums- und Wohlstandsmodells« gewesen zu sein, eines »Fortschritts« also, der »auf der Zerstörung lebendiger Natur und der Ausbeutung lebendiger Arbeit beruht«. Was man, so sagt es die Tradition, von äußerem Kommando und Zerstörung befreien wollte, wurde, so lief sozialdemokratische Politik, verteidigt und verlängert.

Ja, Erhard Eppler hat später den bundesdeutschen Einsatz im Kosovo-Krieg unterstützt und sich der Agenda 2010 nicht in den Weg geworfen. Aber dies tat er nicht als »Vordenker«, sondern aus einem Verständnis von Loyalität heraus, welche ihm umgekehrt die SPD in diesem Maße nicht zu bieten imstande war. Wo stünde eine Sozialdemokratie heute, die sich mehr Gesinnungsethik erlaubte, die wie Eppler, der vor Jahrzehnten eine dazu berufene Kommission leitete, Steuerpolitik als Hebel zu gesellschaftlichen Veränderungen betrachtete? »Wer zu früh kommt, den bestrafen die Parteifreunde«, hat Eppler einmal im Rückblick auf seine politische Karriere gesagt. Das ist richtig, bedarf aber der Ergänzung: Wenn die Genossen so denken und handeln, bestraft die Wirklichkeit irgendwann die Partei. Jetzt steht die SPD vor einem Scherbenhaufen.

Man muss Erhard Eppler nicht auf einen Thron stellen, das hätte er selber am wenigsten gewollt, und es gibt dazu auch viel zu viele Punkte, die auch über seinen Tod hinaus Anlass für Kontroversen bieten. Aber man muss ihn gegen die allzu bequemen Nachrufer verteidigen, die Eppler nun als Vordenker gleichsam nachträglich in Beschlag nehmen für etwas, das weiterhin nicht mehr als Versprechen oder Hoffnung ist: eine andere SPD.

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