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Den Knoten entwirren

Alice Hasters über ihr Buch »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten«

  • Anna Gyapjas
  • Lesedauer: 7 Min.

Ihr Buch erklärt den blinden Fleck vieler weißer Menschen: Rassismus. Nun bin ich weiß und Sie Schwarz - wie beeinflusst das diese Gesprächsdynamik?

Ich bin in einer erklärenden Haltung und spreche über Erlebnisse, die Sie vielleicht interessant finden, aber nicht kennen. Wenn ich mit Schwarzen Menschen oder BIPoC (Black, Indigenous, People of color, Red.) spreche, wissen diese, wie es sich anfühlt, wovon ich erzähle.

Im Interview

Auch wenn viele weiße Menschen es nicht wahrhaben wollen: Rassismus ist noch immer ein allgegenwärtiges Thema. Von Diskriminierung im Alltag handelt das Buch »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten« von der Medienschaffenden Alice Hasters. Mit ihr sprach Anna Gyapjas über Freifahrtsscheine, linke Fetischisierung und die Dankbarkeit für die von vorangegangenen Generationen erkämpften Erfolge.

Inwiefern wirkt sich dieser Unterschied im Alltag aus?

Es ist das Privileg weißer Menschen, sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen. Wenn man davon betroffen ist, gibt es diese Freiwilligkeit nicht. Weist man weiße Menschen darauf hin, versuchen sie dies meist zu negieren, zu verharmlosen oder »Whataboutism« zu betreiben, mit Aussagen wie »Sie sind ja gar nicht richtig Schwarz«. Solches Nicht-Annehmen von meinen Begriffen habe ich bereits erlebt. Das sind Mikroaggressionen.

Welche Kritik von weißen Menschen können Sie ernst nehmen?

Keine (lacht). Das Problem ist ja, dass ich auf Kritik von Weißen hören muss, es aber nicht umgekehrt geht. Mit diesem Buch tue ich Ihnen einen Gefallen, gefühlt. Wenn man Gleichheit und Demokratie nicht ernst nimmt und anwendet, sind solche Ideale scheinheilig.

In Redaktionen waren Sie schnell die Expertin für Schwarze Themen.

Das Risiko für Journalist*innen of Color und Schwarzen Journalist*innen ist, dass ihre Karriere sich nur um ihre Existenz als nicht-weiße Person dreht. Mir fällt auf, dass es in Redaktionen kaum Schwarze Medienschaffende gibt und dadurch unweigerlich das Thema Rassismus übersehen wird. Besonders 2015, als über Geflüchtete gesprochen wurde, habe ich gemerkt, dass vielen bestimmte Informationen fehlten, ich um diese Dinge aber weiß und dann die Expertin dafür wurde.

Sie beschreiben, wie Sie Ihr Umfeld gelehrt hat, die Nebenrolle zu spielen. Nun verschaffen Sie sich doch Gehör. Wie kam es dazu?

Schon lange begleitet mich das Gefühl, dass ich merkwürdig bin. Wenn ich tollpatschig war oder mich aufgeregt habe, wurde das auf eine Weise betont, von der ich mich angegriffen gefühlt habe, obwohl ich wusste, dass es nicht böse gemeint war. Zwischen 2014 und 2016, im Zuge der Ausbildung an einer Journalistenschule und dem Erstarken der Rechten, fühlte ich mich zwischen den Stühlen und musste viele Fragen sortieren. Ich begann zu lesen und merkte, dass Rassismus nicht etwas ist, das ich akzeptieren kann, muss oder sollte. Es sind die anderen, die sich ändern müssen.

Wie haben Sie den Schreibprozess erlebt?

Ich habe schon beim Schreiben gemerkt, dass mir das Selbstverständnis dafür fehlt - was Teil der internalisierten Unterdrückung ist. Ich kenne nicht das Gefühl von »Ich kann mir diesen Raum nehmen«. Ich musste sehr gegen die innere Stimme kämpfen, die gesagt hat: »Wen interessiert dein privater Scheiß!« Noch immer muss ich mich bestärken, damit ich diese Position halten kann. Dieses Zweifeln kommt auch von einem Mangel an Orientierung, weil man sich gegen ein gängiges Narrativ stellt.

Hinzu kam das Dilemma, dass das Schreiben sehr viel Wut getriggert hat, der ich Raum geben wollte, aber die ich auch im Zaum halten musste, weil ich am Diskurs interessiert bin. Marginalisierten Menschen wird nur zugehört, wenn sie nett sind.

In Ihren Interviews müssen Sie die Notwendigkeit des rassismuskritischen Diskurses erklären. Warum?

Dahinter steckt der Wunsch, dass das Thema mit einer Debatte erledigt sei. Vielleicht auch ein »Wir haben uns jetzt genug schlecht gefühlt«. Tatsächlich gibt es viele gute Bücher darüber, Autor*innen wie Noah Sow haben schon viel erklärt. Aber offensichtlich wurden diese Bücher noch nicht genug gelesen. Ich will auch transparent machen, dass meine Perspektive nur die einer Schwarzen Frau mit weißem Elternteil ist, ich bin cis und hetero. Es gibt noch viel mehr Menschen, die etwas dazu sagen müssen. Auch wenn sich weiße Menschen mit dem Thema unwohl fühlen - darum geht es leider nicht, sorry.

Viele Weiße Menschen zucken, wenn sie »weiß« oder »Schwarz« benennen sollen. Was früher »PoC« war, ist jetzt »BIPoC«. Welche Rolle spielen Begriffe für antirassistische Aufklärung?

Natürlich freut sich niemand über den Titel des Rassisten. Aber den Diskurs abzulehnen, hilft auch nicht. Das Wort »Rassifizierung« kennzeichnet beispielsweise eine Opferhaltung - man wird rassifiziert. Der Begriff »race« hingegen berücksichtigt den Prozess der Selbstermächtigung: »I’m black and I’m proud« - damit bin ich aufgewachsen. Ich habe eine Schwarze Mutter, eine Schwarze Oma. In einer Gesellschaft, die seit Jahrhunderten versucht, Schwarzsein als etwas Minderwertiges zu framen, ist es sehr wichtig, sich selbst daran zu erinnern: Schwarzsein ist auch eine Geschichte des Widerstandes, der Resilienz, des Überlebens.

Im Emanzipierungsprozess werden Unterdrückungsmechanismen vereinnahmt, umgedreht, weitergetragen. Man kann nicht sagen: Wir springen in die Zeit zurück, wo Rassismus kein Thema war. Man muss alles, was passiert ist, mitnehmen und den Knoten entwirren.

Um Rassismus zu erklären, werden gerne Beispiele sexistischer Unterdrückung herangezogen. Tatsächlich passiert Diskriminierung aber in vielen Situationen gleichzeitig.

Marginalisierungen stehen in linken Diskursen auch oft in Konkurrenz. Ich verstehe zwar, wie schnell die Situation entstehen kann, in der man denkt: »Warum redet diese Schwarze Frau über Rassismus, wenn ich mir als weißer Mensch nichts zu essen kaufen kann?« Aber diese Diskussionen ergeben keinen Sinn; wir sind vom selben System benachteiligt. Die Aktivist*in Janaya Khan hat mal gesagt: Privilegien beschreiben nicht, was man durchgemacht hat, sondern was man nicht durchmachen musste. Mit diesem Verständnis könnte man diesen blöden Streit um Hierarchisierung vermeiden.

Wir brauchen mehr Kanäle, mehr Sprachrohre und müssen viele Gespräche gleichzeitig führen, damit wir uns nicht um den einen Stuhl kloppen, der am Tisch der weißen Männer frei ist. Vor allem brauchen wir mehr Stühle.

Wie ist es bei weißen Menschen, die sich im linken Spektrum verorten?

Auch Menschen, die beispielsweise bei der Antifa sind, haben bestimmte Dinge noch nicht verstanden. Die Journalistin Charlotte Wiedemann hat treffend formuliert, dass die Enttäuschung über Rassismus im linken Spektrum besonders groß ist, da gerade dort ja behauptet wird, nicht rassistisch zu sein.

Oft findet aber eine Art Fetischisierung marginalisierter Menschen statt. Statt Verantwortung zu übernehmen, möchte man sich das eigene Weißsein abpellen und sich von der eigenen Position befreien. Aber sich davon zu befreien heißt auch, nicht weiter darüber nachdenken zu wollen. Es gibt jedoch keinen Freifahrtsschein.

Wie macht man es besser?

Ganz essenziell für das Verhältnis weißer Menschen zu Antirassismus ist es, bestimmte Dinge sein zu lassen. Zuhören und Platzmachen wären gut, einfach mal aus dem Weg zu gehen, wie es James Baldwin schon gesagt hat.

Aber die Frage ist auch, für wen macht man das, wessen Interesse stellt man ins Zentrum? Der Unterschied zwischen »White Saviourism« (weißer Rettungskomplex, Red.) und dem »Ally-Sein« (Verbündete-Sein, Red.) steckt in der Antwort auf diese Frage.

Es gibt Buchtitel wie »Unter Weißen« oder »Eure Heimat ist unser Albtraum«: Eine Reihe von Millenials artikuliert derzeit Rassismuskritik. Wieso?

Wir haben den Kopf frei und können ansprechen, was die Älteren alles mitgetragen haben. Meine Großeltern, weiße wie Schwarze, sind in einer sehr traumatisierenden Zeit aufgewachsen, meine Mutter mitten in der Bürgerrechtsbewegung. Dass ich optimistisch bin, rührt auch von der Wertschätzung dessen her, was die Menschen vor mir gemacht haben.

In einem Zeitraum von 500 Jahren war es noch nie so gut, eine Schwarze Frau zu sein. Und dank Autor*innen wie Noah So kann ich über so spezifische Dinge schreiben wie Rassismus innerhalb von Beziehungen. Ich hoffe, dass der Erfolg dieses Buches beweist, dass Menschen über Rassismus reden wollen, weil sie die Notwendigkeit dessen erkannt haben.

Anmerkung der Redaktion: Das Adjektiv »Schwarz« wird in diesem Artikel groß geschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt.

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten. Hanser Verlag, 208 S., br., 17 €.

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