Kein Frieden ohne Gerechtigkeit

Nach erneuter Klageabweisung im Fall Oury Jalloh: scharfe Kritik von Angehörigen und Unterstützern

Nur der Hartnäckigkeit einer zunächst kleinen ehrenamtlichen Initiative von Freunden Oury Jallohs ist es zu verdanken, dass der Asylbewerber aus Sierra Leone heute nicht zu den zahlreichen vergessenen Opfern von Polizeigewalt gehört. Vor fast 15 Jahren, am 7. Januar 2005, verbrannte der 36-Jährige in einer Polizeizelle in Dessau (Sachsen-Anhalt).

Nach langem vergeblichem Kampf um eine juristische Aufarbeitung des Falles hatte das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg vor einer Woche einen bereits im Januar eingereichten Antrag von Jallohs Bruder Saliou Diallo auf Erzwingung eines neuen Ermittlungs- und Klageverfahrens als unzulässig abgewiesen. Dabei hatte ein Gutachten von der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« engagierter Experten gezeigt, dass das Opfer vor seinem Tod misshandelt wurde und, als das Feuer in seiner Zelle ausbrach, bewusstlos gewesen sein muss, ja, möglicherweise bereits tot war.

Am Montag kritisierten Vertreter der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«, Saliou Diallo und einer internationalen unabhängigen Kommission, die den Fall untersucht, den OLG-Gerichtsbeschluss scharf. Nebenklageanwältin Gabriele Heinecke sagte im Gespräch mit »nd«, das OLG-Schreiben biete viele »Angriffspunkte«. Die darin enthaltenen Argumente seien »von A bis Z unzutreffend« und seit langem durch die Akten im Fall »widerlegt«.

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Aus Mangel an Argumenten greife das OLG zudem auf Mutmaßungen zurück, unter anderem zu nirgends registrierten Asservaten wie der Möglichkeit der Existenz eines zweiten Feuerzeugs zurück. Ein solches, schreibt das Gericht, könnte Jalloh verwendet haben, um die feuerfeste Matratze, an die er, auf dem Rücken liegend, an Händen und Füßen gefesselt war, in Brand zu stecken. Schon das eine Feuerzeug, das der Justiz bislang als Indiz für die These vom Selbstmord dient, war unmittelbar nach dem Tod Jallohs nicht in der Zelle und tauchte erst später auf.

Am Montag stellte Vanessa E. Thompson von der »Internationalen Unabhängigen Kommission zum Tod von Oury Jalloh« neue Erkenntnisse vor, die ein Team um den Radiologen Boris Bodelle von der Goethe-Universität Frankfurt am Main durch Auswertung der Bilddateien einer Computertomographie des Leichnams Jallohs gewonnen hat, die zweieinhalb Monate nach dessen Tod angefertigt worden war. Bodelles Gutachten war dem OLG kurz vor dessen Entscheidung vorgelegt worden. Das Naumburger Gericht erklärte dazu nun, es handle sich nicht um neue Beweise, da die Analyse auf der Basis vorliegender Daten erfolgt sei. Daher sei der Antrag unzulässig.

Der Analyse von Professor Bodelle zufolge wies der Körper des Toten neben einem bereits bekannten Bruch des Nasenbeins weitere Verletzungen wie einen Bruch des vorderen Schädeldaches und eine gebrochene Rippe auf. All diese Frakturen, betonte Thompson, seien Jalloh zu Lebzeiten, höchstwahrscheinlich durch »äußere Gewalteinwirkung«, zugefügt worden, dies hätten Entzündungen des umliegenden Gewebes belegt. Eine Selbstverletzung oder ein Sturz sei unwahrscheinlich. Der Zeitpunkt der Entstehung der Frakturen sei »eindeutig eingrenzbar« auf wenige Stunden vor dem Tod Jallohs. Dies widerspreche der von der Justiz vertretenen These, sein Körper sei beim Transport post mortem »beschädigt« worden. Die Schwere der Verletzungen, so Thompson, spreche zudem dafür, dass Jalloh stark aus der Nase geblutet haben müsse, dass er also, in der Zelle auf dem Rücken liegend, auch an eingeatmetem Blut erstickt sein könnte. Sein Zustand hätte, so die Einschätzung der Kommission, eine sofortige medizinische Behandlung erfordert.

Im Fall Jalloh war es vorm Landgericht Dessau-Roßlau und vorm Landgericht Magdeburg zu Prozessen gekommen. Im ersten waren im Dezember 2008 zwei Polizisten aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden, im zweiten war der Dienstgruppenleiter des Dessauer Reviers, Andreas S., zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung verurteilt worden. Das Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass er Alarmsignale aus der Zelle mehrfach ignoriert hatte.

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte zuletzt im Herbst 2017 erklärt, es lasse sich nicht belegen, dass Polizisten oder andere Personen Jalloh angezündet hätten. Dabei hatte der Dessauer Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann sich im April 2017 gegenüber dem Generalstaatsanwalt für neue Ermittlungen und die Einschaltung des Generalbundesanwalts ausgesprochen. Zuvor hatte er einen weiteren Brandversuch veranlasst. Die Fachleute, die ihn durchgeführt hatten, waren ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass Jalloh vor Ausbruch des Feuers bewusstlos gewesen sein und Brandbeschleuniger eingesetzt worden sein muss. Bittmann formulierte damals einen konkreten Mordverdacht gegen zwei Polizisten. Ein Motiv könne unter anderem die Vertuschung einer vorhergehenden Straftat, also schwerer Misshandlung des Asylbewerbers, gewesen sein. Die Generalbundesanwaltschaft lehnte die Übernahme weiterer Ermittlungen jedoch ab, und die Generalstaatsanwaltschaft entzog Bittmann das Verfahren im Juni 2017. Im Herbst desselben Jahres beschloss die Behörde die endgültige Einstellung der Ermittlungen.

Im Naumburger OLG-Beschluss heißt es am Ende, Rassismus von verdächtigten Beamten stelle kein wahrscheinliches Tatmotiv dar. Diese Einschätzung, so Anwältin Heinecke, sei Jahre nach der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU ein Zeichen für Realitätsverweigerung: »Wer zu einer solchen Einschätzung kommt, lebt offenbar auf einem anderen Stern.«

Heinecke hält es angesichts der Widersprüche in der OLG-Entscheidung für nötig, aber für äußerst schwierig, beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde dagegen einzulegen. Dafür hätten die Anwältinnen der Nebenklage lediglich einen Monat Zeit, zugleich seien die formalen Anforderungen an eine Verfassungsbeschwerde sehr hoch. Gefordert sei eigentlich die Staatsanwaltschaft. Die aber habe über die Jahre meist eher gegen die Nebenklage gearbeitet, statt zur Aufklärung des Falles beizutragen.

Unterdessen diskutierten am Wochenende in Berlin Vertreter von Initiativen gegen rassistische Polizeigewalt aus ganz Europa Strategien, um Aufklärung durchzusetzen. Angehörige von Opfern aus Großbritannien, Frankreich und Österreich schilderten am Montag ihre Erfahrungen mit der Polizei. Sie wollen sich stärker vernetzen, um unabhängige Untersuchungen von Todesfällen finanzieren zu können. Denn, so Fahima Laidoudi aus Frankreich: »Dem Staat können wir nicht vertrauen.« Laidoudi und andere Angehörige von Menschen, die durch Polizeischüsse oder unter ungeklärten Umständen im Gewahrsam starben, wiesen darauf hin, dass der Umgang staatlicher Stellen überall ähnlich sei.

Marcia Rigg vom britischen »Friends and Families Fund« und Schwester eines 2008 auf einer Polizeistation in Brixton Verstorbenen, wies darauf hin, dass es bei 1700 Fällen von tödlicher Polizeigewalt in Großbritannien bislang in keinem einzigen zu einer Verurteilung gekommen sei. Aufklärung sei aber unabdingbar, betonte ein Gewerkschafter aus Italien, denn: »Ohne Gerechtigkeit werden die Familien der Opfer nie Frieden finden.«

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