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- Landtagswahl in Thüringen
Sprachlosigkeit als linke Abgrenzungsstrategie
Nach der Thüringen-Wahl gibt es Gedankenspiele für eine Koalition aus CDU und Linkspartei - für Roberto De Lapuente ein normaler Vorgang in einer Demokratie
Seit Jahrzehnten ist die Union die Gallionsfigur des Niedergangs. Sie lähmt die Republik, hält an überkommenen Strukturen fest, etabliert Prekarität und betreibt Wirtschaftspolitik zunehmend auf Basis freiwilliger Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Mauscheleien mit der Wirtschaft setzt das geradezu voraus. CDU und CSU sparen das Land zu Tode. Die Union ist das Gegenteil dessen, was sich Linke als Idealfall für die Politik vorstellen. Mit ihr kann es eigentlich keine Schnittstellen geben, sie steht für alles, was links nicht sein darf für ein Land.
Daher sollte man gar nicht erst der Idee verfallen, mit der CDU nach der problematischen Thüringen-Wahl am Wochenende zusammenzugehen. Standhaft bleiben und lieber nicht regieren als falsch regieren. Plötzlich findet dieses Zitat von FDP-Chef Christian Lindner auch unter Linken rege Abnehmer. Nicht wenige wittern jetzt eine fatale Entwicklung, ja geradezu Verrat und die endgültige Anpassung, denn die Linke denkt eben doch darüber nach, Gespräche mit den thüringischen Christdemokraten aufzunehmen.
Speziell in den sozialen Netzwerken formierte sich Unverständnis. Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) sei Opportunist, war dort zu lesen. Er spiele Sozialdemokrat, wolle »den Klassenfeind« an Bord nehmen. Die Linkspartei hätte daher jegliche Reputation verloren. Denn Linke koalieren nicht mit der Union, das gehöre sich nicht, heißt es weiter.
Vor fünf Jahren hatte man ähnliche Bedenken, obwohl die Linken damals mit der SPD und den Grünen über eine Koalition verhandelten - die am Ende auch zustande kam. Mit der SPD, so ereiferten sich Hardliner damals, mit der Hartz-IV-Partei, koaliere man als Linker nicht.
Auch wenn man die Bedenken nachvollziehen kann, so ist es kein Frevel an linker Politik, sich an die Union als mindestens potenziellen Koalitionspartner heranzuwagen. Nicht aus Überzeugung, sondern aus der Notwendigkeit des Wahlergebnisses heraus. Das hat mit dem Respekt vor dem Wählerwillen zu tun. Der setzt nämlich eine gewisse Beweglichkeit von allen voraus. Was nicht heißt, dass man seine Vorstellungen gänzlich verraten muss.
Eine grundsätzliche Verweigerung macht politische Gestaltbarkeit unmöglich. Wer so tickt, der verwechselt eine diffuse politische Reinheitslehre mit dem gesellschaftlichen Anspruch, die Geschicke steuern und gestalten zu wollen. Politik ist zuweilen ein dreckiges Geschäft. Eben auch, weil man sich mit Leuten an einen Tisch zu setzen hat, die man nicht schätzt. Sich schmollend zurückzuziehen, wie man das in Teilen der linken Basis immer wieder macht, absorbiert Machtperspektiven.
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Eine Koalition aus LINKE und CDU steht ohnehin in den Sternen. Denn die Union verschließt sich bereits wieder einer Zusammenarbeit mit den LINKEN, nachdem es zunächst anders aussah. Aber zumindest nicht per se ausschließen, es ins Auge fassen und sachlich zu prüfen: Das entspricht einer Vorstellung linker Politik, die etwas leisten will und sich eben nicht auf ideologische Reflexe reduzieren lässt. Ob es dann letztlich einige Schnittstellen gäbe, auf die man ein Zusammengehen gründen könnte, bleibt fraglich.
Hätte die Union vielleicht noch einen Flügel, dem die christliche Soziallehre nicht völlig fremd wäre, so gäbe es sicher die eine oder andere Schnittstelle mit der Linkspartei. Zu laut darf man nicht sagen, dass Bodo Ramelow mal eine Audienz beim Papst bekam. Denn die hauen ihm die Esoteriker der Machtlosigkeit dieser Tage wieder besonders gerne um die Ohren. Mit Gläubigen spricht man nämlich auch nicht.
Mit Konservativen auch nicht. Mit Sozis sowieso nicht. Mit Grünen lieber ebenso nicht. Sprachlosigkeit als linke Abgrenzungsstrategie? Das können wir uns nicht mehr leisten.
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