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Ermittlungen, die es nie hätte geben dürfen
Das Zentrum für Politische Schönheit war nicht die erste Gruppe, die nach AfD-Aktion in Thüringen ins Visier geriet
Vor einem halben Jahr hatte es für Empörung gesorgt, dass ein Staatsanwalt aus Gera strafrechtliche Ermittlungen gegen das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) eingeleitet hatte. Grund war eine Aktion der Künstler gegen den Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. Sie hatten eine Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmals auf Höckes Nachbargrundstück gesetzt und ihn zu ihrem »nachrichtendienstlichen Beobachtungsobjekt« erklärt. Der Staatsanwalt ging daraufhin dem Verdacht nach, die Künstler hätten eine kriminelle Vereinigung gegründet; ein harter Vorwurf, der den Ermittlern weitreichende Möglichkeiten gibt, den Verdacht zu prüfen - zum Beispiel durch das Abhören von Telefonen.
Der Jurist wurde daraufhin zumindest vorläufig von seinen Aufgaben im Staatsschutzdezernat der Staatsanwaltschaft Gera entbunden. Inzwischen, so hieß es von der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft, bearbeitet er statt Staatsschutzsachen Ermittlungsangelegenheiten im Zusammenhang mit Bränden sowie allgemeine Strafsachen. Auch wegen seiner Ermittlungsführung in früheren Verfahren sah und sieht sich der Mann mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe einseitig zu Lasten echter oder vermeintlicher Linker ermittelt und bei mutmaßlich rechtsmotivierten Straftätern das Recht recht großzügig ausgelegt. Ob das so war, dazu laufen interne Prüfungen der Justiz.
Doch das Zentrum für Politische Schönheit ist nicht die einzige Gruppe, gegen die Thüringens Justiz ermittelt hat, weil sie sich mit künstlerischen Mitteln gegen Höcke und seine nationalistische Weltsicht gewandt hat. Es hat mindestens ein weiteres, ähnliches Ermittlungsverfahren gegeben - bei dem sich nicht die Justiz, sondern die Polizei fragen lassen muss, was sie im Zusammenhang mit den Ermittlungen getan hat. Anders als im Fall des ZPS hatte das für die beteiligten Ermittler aber keine Konsequenzen.
Im Zentrum dieses Verfahren: die Künstlergruppe »Dies Irae«. Auf Facebook ist die Gruppe zu finden unter @nervtjeden. Ausgangspunkt der Ermittlungen war eine Kunstaktion von Dies Irae im Januar 2016. Damals hatten die Künstler in Erfurt - unmittelbar vor einer geplanten AfD-Kundgebung - Plakate aufgehängt. Darauf war unter anderem Höcke im Stile des Rattenfängers von Hameln dargestellt. Auf einem Plakat war zu lesen: »Afghanistan ist gegen Frauenrechte. Wir auch!« Darunter stand mit einem verfremdeten Logo der AfD: »Rechtspopulisten für Deutschland«. Die Plakate waren in die Werbeflächen von Straßenbahnhaltestellen gehängt worden, die dazu geöffnet worden waren, ohne diese zu beschädigen. Mit ähnlichen Kommunikationsguerilla-Aktionen protestierten die Künstler auch gegen die deutsche Flüchtlings- und Klimapolitik.
Kurz darauf nahm die Staatsanwaltschaft Erfurt Ermittlungen auf, weil, so der Sprecher der Behörde, Hannes Grünseisen, die AfD Anzeige gegen die Künstler erstattet hatte. Ganz anders als der Staatsanwalt aus Gera es im Fall des ZPS tat, kamen die Zuständigen bei der Staatsanwaltschaft Erfurt allerdings schnell zu dem Ergebnis, dass die Aktion von der Meinungsfreiheit gedeckt war. »Wir haben das eingestellt, weil das nicht strafbar ist«, sagt Grünseisen. Im März 2016 sei das gewesen.
So weit, so rechtsstaatlich. Was - und das ist nun erst durch zwei Anfragen des LINKE-Landtagsabgeordneten Steffen Dittes an das Thüringer Justizministerium öffentlich geworden - die Kriminalpolizei Erfurt und das Thüringer Landeskriminalamt (TLKA) aber nicht davon abhielt, in der Sache weiter zu ermitteln. Bei den ersten Ermittlungen waren Fingerabdrücke genommen worden, die laut Justizministerium im August 2016 - fast ein halbes Jahr nach der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Erfurt - durch das Landeskriminalamt ausgewertet worden waren. »Darüber hinaus fertigte das TLKA im Juli 2017 eine DNA-Treffermitteilung von Spur zu Spur«, steht in der Antwort des Ministeriums auf die Anfrage von Dittes. Kurz darauf sandte die Polizei das entsprechende Material an die Staatsanwaltschaft Erfurt, die die Vernichtung der Spuren anordnete.
Trotzdem ermittelte die Polizei weiter. Noch Ende 2018, so steht es in der Antwort des Ministeriums, beschäftigte sich die Kriminalpolizei Erfurt mit dem Fall - bis die Staatsanwaltschaft Erfurt das Verfahren im März 2019 offiziell, formal und vor allem erneut einstellte. Günstig war das alles nicht, so hat die chronisch überlastete Thüringer Polizei in dieser Sache nicht nur Personal für Ermittlungen eingesetzt, die es so nicht hätte geben dürfen. Für Gutachten im Rahmen der Ermittlungen seien zudem 1010,85 Euro ausgegeben worden, heißt es vom Justizministeriums.
Bei der Staatsanwaltschaft Erfurt ist man fest davon überzeugt, dass die an den Ermittlungen gegen Dies Irae beteiligten Polizisten nicht aus fragwürdigen Motiven weiter aktiv waren, nachdem die Juristen das Verfahren 2016 eingestellt hatten. »Es ist im Ergebnis unglücklich gelaufen, aber da ist mit Sicherheit keine Straftat verübt oder mit Vorsatz gehandelt worden«, sagt Grünseisen. Es habe eine Kommunikationspanne zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei gegeben. Die Beamten hätten 2016 schlicht und einfach nicht erfahren, dass das Verfahren wegen Nicht-Strafbarkeit eingestellt worden sei. Ähnlich betont eine Sprecherin der Landespolizeidirektion: »Die konkreten Ursachen dieses Büroversehens lassen sich nicht mehr nachvollziehen.« Für die These vom Versehen spricht auch, dass Grünseisen sagt, ihm sei kein weiterer Fall bekannt, in dem Thüringer Polizeibeamte nach einer Verfahrenseinstellung durch die zuständige Staatsanwaltschaft weiter ermittelt hätten.
Auch bei Dies Irae nimmt man die Sache inzwischen relativ gelassen. Die fortgesetzten Ermittlungen seien zwar schon »merkwürdig« gewesen, doch habe man tatsächlich keine Hinweise darauf, dass die Beamten aus eigenwilligen Motiven gehandelt hätten.
Eingestellt worden ist laut Staatsanwaltschaft Gera auch ein zweites Verfahren gegen Dies Irae. Anlass dafür war, dass Plakate der Künstler im April 2019 auch in Gera aufgetaucht waren - gerichtet gegen den umstrittenen Geraer Staatsanwalt, der das ZPS unbedingt strafrechtlich verfolgen wollte. Auf diesen Plakaten hieß es unter anderem: »Damit sich alle zurecht finden: Staatsanwaltschaft Gera will Rechts-vor-Links-Schilder im Gerichtssaal.«
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