Das heilige Meditier

Bernd Zeller über die Folgen des Besuchs der Bundeskanzlerin in Indien und einen berühmten Seiltrick

  • Bernd Zeller
  • Lesedauer: 3 Min.

Unser heutiger Bericht kümmert sich um die Vereinbarung, die unsere Kanzlerin mit Indien getroffen hat, der zufolge die Zusammenarbeit beider Länder in Hochtechnologie, Yoga und Meditation vertieft werden soll. Wer jetzt meint, das wurde ja auch Zeit, hat meditativen Nachholbedarf und verkennt, dass wir nicht nur im Bereich Hochtechnologie, sondern auch Vergeistlichung etwas zu bieten haben. Das beste Beispiel - wobei man es für eine Fehlgeleitetheit halten kann, hier eine Rangfolge aufstellen zu wollen, also ein sehr gutes Beispiel oder überhaupt ein Beispiel - ist die Kanzlerin selbst, die auf aktuelle Anwürfe früherer Parteifreunde, sie habe einen Nebel über das Land gelegt, mit kontemplativer Abgeklärtheit reagiert.

Genau genommen wirkt es nur so, eigentlich reagiert sie gar nicht. Sie müsse auch mit Kritik umgehen, ließ sie verlauten - das ist keine Reaktion. Eine Reaktion wäre, mit Kritik umzugehen. Aber genau diese geradezu buddhistische Ruhe braucht das Land, genauso wie Indien, wo der Buddhismus nur deswegen einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, weil der Hinduismus äußerst kompliziert ist. Auch wir wissen vom Hinduismus nur, dass da die Elefanten viele Arme haben, sofern es sich um Gottheiten handelt.

Meditation ist aber keine Einbahnstraße, deswegen bringt die Kanzlerin neue Anregungen zu uns. Den Nebel, den sie angeblich über das Land gelegt hat, konterkariert sie mit den Nagelbrettern, auf die sich ihre Kritiker zu setzen haben und die dann noch mal gefragt werden, ob sie das immer noch so sehen. Diese Aktion unternimmt sie nicht selbst, das erledigt die Presse für sie, denn sie selbst bleibt bei ihrer Methode, ihre Kritiker reden zu lassen, bis sie sich wiederholen und das niemand mehr hören will. In der öffentlichen Wahrnehmung hat dann die Kanzlerin mit Gleichmut triumphiert.

Ob es sich beim indischen Seiltrick um eine hochtechnologische oder eine spirituelle Erfahrung handelt, ist ein indisches Betriebsgeheimnis, das womöglich durch die Austauschvereinbarung für uns nutzbar wird. Ein Seil wird nach oben geworfen, jemand klettert hinauf, obwohl es oben nirgends festgemacht ist. Diese Methode ähnelt stark der Art, mit der die CDU an die Regierungspositionen kommt. Die Kanzlerin klettert sogar an einem Seil, das gar nicht vorhanden ist. Diesen Trick kann sie nach Indien liefern, um dafür Expertenwissen für Digitalisierung oder Auslastung des Schienennetzes zu holen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Kanzlerin, so wurde bei uns berichtet, in Indien wie eine Königin gefeiert wurde. Darunter können wir uns nichts vorstellen; wir haben keine Königin und kennen allenfalls europäische Adelshäuser aus der Regenbogenpresse, wo wir erfahren, dass die Adligen sich vor Kummer winden und von Schicksalsschlägen heimgesucht werden, wenn nicht gerade ein Wonneproppen oder eine Eheschließung für den glücklichsten Tag sorgt. Es drängt sich der Befund auf, dass auch diesen Schichten etwas mehr Meditation bekömmlich wäre.

Vielleicht stimmte der Vergleich mit der Königin auch nicht und die Kanzlerin wurde in Indien wie eine Elefantengöttin gefeiert. Komischerweise können wir uns darunter mehr vorstellen. Eigentlich ist unser Bild von einer Elefantengöttin geprägt von der Kanzlerin. Wir erwarten, dass eine Elefantengöttin auf die Stimmen von Kritikern auf dieselbe Weise reagieren würde.

Gar nicht kritisiert werden in Indien die Kühe, weil sie als heilig gelten. Allenfalls kritisieren Kühe andere Kühe. Es zeugt von Respekt und Kultursensibilität, dass nicht geschrieben wurde, die Kanzlerin sei bei ihrem Besuch gleich einer solchen Heiligkeit bejubelt worden.

Ab jetzt werden wir jedenfalls unseren meditativen Charakter leben oder, wenn wir noch keinen haben, ihn uns aneignen. Vielleicht liegt ein Nebel über dem Land, womöglich von der Kanzlerin bewirkt, aber es ist uns egal. Wer sich darüber aufregt, kann ja Yoga machen.

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