Proteste gegen Bolsonaro: »Nie wieder Diktatur«

Soziale Bewegungen, die politische Linke und Gewerkschaften warnen vor der amtierenden Regierung Brasiliens

  • Niklas Franzen, São Paulo
  • Lesedauer: 3 Min.

Es blitzte, donnerte und regnete aus Kübeln als Guilherme Boulos in einen roten Plastikumhang gehüllt die Bühne des Lautsprecherwagens betrat. Auf São Paulos Prachtmeile Avenida Paulista erklärte der Wohnungslosenaktivist und linke Präsidentschaftskandidat in einer emotionalen Rede, dass Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro für sein Amt nicht fähig sei. Soziale Bewegungen, linke Parteien und Gewerkschaften hatten zu dem Protest am Dienstagabend mobilisiert. Rund 2.000 Menschen kamen zu der Demonstration, die wegen des Platzregens nur einige hundert Meter weit lief. Auch in anderen Städten demonstrierten linke Gruppen.

Auslöser für die Proteste waren Medienberichte, die den rechten Präsident Jair Bolsonaro mit dem Mord an der linken, schwarzen Stadträtin Marielle Franco in Verbindung bringen. In der vergangenen Woche hatte das Nachrichtenmagazin »Jornal Nacional« des mächtigen Globo-Netzwerkes berichtet, dass ein Verdächtiger kurz vor dem Mord an Franco versucht haben soll, Bolsonaro in seiner Wohnanlage aufzusuchen. Laut der Aussage eines Pförtners soll Bolsonaro den Einlass des Mannes über die Gegensprechanlage erlaubt haben. Der rechtsradikale Politiker war an jenem Tag aber nachweislich in der Hauptstadt Brasília. Der Verdächtige soll daraufhin den mutmaßlichen Mörder besucht haben, der in der gleichen Wohnanlage wie Bolsonaro lebte.

Die Politikerin der Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) wurde am 14. März 2018 zusammen mit ihrem Fahrer auf offener Straße in Rio de Janeiro ermordet. Der Mord schockte die brasilianische Linke, Franco wurde zu einem weltweiten Symbol.

Bolsonaro unterschlägt Tonaufnahmen

Bolsonaro bestritt alle Vorwürfe und drohte in einem Live-Video, Globo die Sendelizenz nicht zu verlängern. Zwei Tage nach dem Fernsehbericht erklärte die Staatsanwaltschaft, dass der Pförtner gelogen habe und nicht Bolsonaro, sondern der mutmaßliche Mörder, den Einlass gewährt haben soll. Allerdings kamen Zweifel an der Unabhängigkeit der Behörde auf, als im Netz Fotos einer mit dem Fall beauftragten Staatsanwältin auftauchten. Dort posierte sie mit einem T-Shirt des ultrarechten Präsidenten und tauchte neben einem Parteikollegen von Bolsonaro auf, der auf einer Wahlkampfveranstaltung ein Gedenkschild für die ermordete Franco zerstört hatte. Am Samstag folgte der nächste Hammer: In einem Interview mit Journalist*innen gab Bolsonaro zu, die Tonaufnahmen der Gegensprechanlage - womöglich vor der Polizei - an sich genommen zu haben, angeblich um »Manipulationen« vorzubeugen.

»Wir fragen uns nun natürlich, ob die Regierung Einfluss auf die Ermittlungen genommen hat«, sagt Neusa Raineri, Präsidentin der PSOL in der Stadt São Caetano, dem »nd«. Die 59-Jährige mit den krausen, grauen Haaren, der lila Brille und dem Marielle-Franco Aufkleber auf der Brust hat unter dem Dach eines Kunstmuseums Schutz vor dem Regen gefunden. »Dieser Fall ist nicht abgeschlossen. Die Mörder sind zwar gefasst. Doch wer den Auftrag für den Mord an unserer Parteikollegin gegeben hat und warum, ist immer noch unklar.«

Weiterer Auslöser für die Proteste am Dienstag waren die Aussagen von Präsidentensohn Eduardo Bolsonaro. Dieser hatte erklärt, dass bei einer »Radikalisierung der Linken« wie in Chile, die Antwort einer neuer AI-5 sein könne. Mit dem berüchtigten Fünften Institutionellen Akt leitete die brasilianische Militärdiktatur 1968 die brutalste Phase der Junta ein und institutionalisierte Verfolgung, Folter und Staatsterror. Nach einem öffentlichen Aufschrei und Kritik von fast allen Seiten entschuldigte sich der Präsidentenspross. Auf der Demonstration in São Paulo forderten mehrere Redner*innen, ihm das Mandat zu entziehen, mehrmals schallten »Nie wieder Diktatur«-Sprechchöre durch den Abendhimmel der 20-Millionenmetropole. »Solche Aussagen sind nichts Neues. Seit der Wahl drohen die Bolsonaros regelmäßig damit, die Demokratie abzuschaffen«, sagt die Politikerin der Kommunistischen Partei von Brasilien (PCdoB) Karin Vitral dem »nd«. »Es zeigt uns einmal mehr: Mit dieser Regierung ist nicht zu spaßen.«

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