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Warum die Londoner Polizei eine Million Euro an XR-Rebellen zahlen muss
Über 400 Mitglieder von Extinction Rebellion können die Polizei auf Schadensersatz verklagen
Eigentlich war Londons Polizei am Montag dem 14. Oktober schon fast am Ziel. In der Woche zuvor hatten Mitglieder der Umweltbewegung Extinction Rebellion (XR) zwölf Brücken, Plätze und Straßen im britischen Regierungsviertel Westminster besetzt. Doch der Polizei war es mittlerweile gelungen, die selbsternannten Rebellen mit rund 1400 Festnahmen auf den Trafalgar Square zurückzudrängen. Trotzdem erließ die Polizei dann ein stadtweites Verbot für Versammlungen von zwei oder mehr Mitgliedern der Umweltbewegung mit der Begründung, XR würde noch immer die Straßen am Trafalgar Square blockieren. Ein Vizechef der Londoner Polizei, Laurence Taylor, sagte dazu: »Das ist eine rechtmäßige Entscheidung, die aus unserer Sicht absolut verhältnismäßig und vernünftig ist.«
Diese Einschätzung erwies sich allerdings nicht als gerichtsfest. Am Dienstag entschied Englands oberstes Gericht, das stadtweite Verbot sei nicht durch das Gesetz zur öffentlichen Ordnung gedeckt. Dieses gibt der Polizei die Möglichkeit, Auflagen für Versammlungen zu erlassen. Das Gericht befand nun, dass Proteste die räumlich und zeitlich getrennt sind, als unterschiedliche Versammlungen zu werten sind und daher ein stadtweites Verbot nicht zulässig ist. George Monbiot, ein britischer Umweltvordenker und einer der Kläger auf XR-Seite, sagte dazu: »Der Versuch der Polizei Proteste zu verhindern, war ein Angriff auf die Demokratie. Ich bin hocherfreut, dass dieser nun gestoppt wurde.« Die Polizei zeigte sich derweil »enttäuscht« von dem Urteil und kündigte an, dieses zu prüfen.
Aus Sicht der Polizei ist das Gesetz aus dem Jahr 1986 veraltet: »Die Art von Protesten, die wir im Jahr 1986 hatten, ist sehr verschieden von dem, was wir insbesondere mit XR gesehen haben«, sagte Nick Ephgrave, ein Vizechef von Londons Polizei. Insbesondere die »Lock-ons« sind Ephgrave ein Dorn im Auge. Dabei ketten oder kleben sich Demonstranten aneinander fest, oft in einem Stahlrohr. Vor einer Festnahme muss die Polizei daher die Demonstranten erst befreien, was speziell ausgebildete Polizisten erfordert und viel Zeit in Anspruch nimmt. »Dieser Fall zeigt, dass es eine Herausforderung ist, solche Proteste innerhalb des geltenden rechtlichen Rahmens zu kontrollieren.«
Kurzfristig hat die Polizei aber eine andere Sorge: Weil das Versammlungsverbot unrechtmäßig war, waren auch alle Festnahmen unzulässig, die damit begründet wurden. Das gilt für rund 420 Fälle. Die Betroffenen haben nun die Möglichkeit, die Polizei auf Schadensersatz zu verklagen. Wer 24 Stunden zu Unrecht festgehalten wurde, kann mit einer Kompensation von rund 3500 Euro rechnen. Wer weniger lang auf der Polizeiwache verbracht hat, bekommt weniger. Insgesamt dürften so Schadensersatzzahlungen von über einer Million Euro auf die Polizei zukommen. Dabei waren die XR-Proteste schon so nicht billig: Die Polizei beziffert ihre Kosten derzeit auf rund 28 Millionen Euro. Aus Sicht von XR ergibt sich aus dem Urteil dafür ein unverhoffter Geldsegen. Wozu dieser verwendet werden soll, sei aber noch unklar, sagt Tobias Garnett, ein XR-Anwalt: »Menschen, die Schadenersatz erhalten, sind frei, damit weitere Proteste zu finanzieren. Wahrscheinlich werden wir sie aber bitten, die Gerichtskosten von denen zu bezahlen, die sie in all den anderen Gerichtsfällen nicht selbst tragen können.«
Andere Fälle gibt es genug. Bei einer ähnlichen XR-Aktion im April wurden 1130 Menschen festgenommen, die nun nach und nach vor Gericht kommen. Dort werden sie in der Regel auf Bewährung frei gesprochen und müssen Gerichtskosten von rund 120 Euro übernehmen. Hinzu kommen nun noch die 1832 Festnahmen im Oktober – rund 1400 zulässige und 420 unzulässige.
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