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Zwei Schritte vor, einer zurück
Andreas Fisahn über einen argumentativen Trick der Verfassungsrichter bei Hartz IV
Das Bundesverfassungsgericht hat das Sanktionsregime von Hartz IV korrigiert, aber es belässt den Jobcentern die Möglichkeit, die Leistungen zu kürzen. Ausgangspunkt der Entscheidung von dieser Woche ist das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip und die Menschenwürde. Beides hatte das Gericht schon im ersten Hartz-IV-Urteil im Jahr 2009 zusammengezogen und aus ihnen ein neues Grundrecht entwickelt, nämlich das Recht auf das »soziokulturelle Existenzminimum«. Soziokulturell nennt das Bundesverfassungsgericht dieses Minimum, weil es eben nicht nur das Nötigste zum Überleben umfasst, sondern das Minimum, das erforderlich ist, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Teilhabe auch der ärmeren Menschen ist für eine Demokratie, die diesen Namen verdient hat, unabdingbar.
Das Hartz-IV-System sieht aber Leistungskürzungen vor, wenn Hartz-IV-Empfänger bestimmte Auflagen des Jobcenters nicht befolgen. Wenn mit Hartz IV das Existenzminimum gezahlt wird, sinkt der Hilfsbedürftige mit Kürzungen also unter dieses Minimum. Wie kann das gerechtfertigt werden? Die Karlsruher Richter machen in ihrer Entscheidung einen Umweg und erklären zunächst, dass der Gesetzgeber Mitwirkungspflichten statuieren und deren Verletzung mit Sanktionen belegen könne. Pflichten und Sanktionen seien aber mit einem Eingriff in Grundrechte verbunden und müssten deshalb verhältnismäßig sein.
Die Sanktion dürfe folglich nur aus einer verhältnismäßigen Leistungskürzung bestehen. Anders gesagt: Die Frage wurde verschoben und lautet nun: Wann sind sanktionierte Mitwirkungspflichten verhältnismäßig? Sie lautet nicht mehr: Verstößt es gegen die Menschenwürde, das Existenzminimum zu kürzen? Das Gericht ist sich seines argumentativen Tricks selbst bewusst, und man merkt gleichsam das schlechte Gewissen bei der Kompromissformel. Danach wird die Ausgangsfrage nicht beantwortet, sondern nur apodiktisch behauptet: Verhältnismäßige Mitwirkungspflichten dürfen auch mit verhältnismäßigen Sanktionen geahndet werden.
Die Einschränkung oder die teilweise Verfassungswidrigkeit der bestehenden Regelung folgt aus den Verhältnismäßigkeitserwägungen. In Ordnung sei demnach eine Kürzung um 30 Prozent, allerdings nur, wenn es Härtefallregelungen im Einzelfall gibt und wenn die starre Frist von drei Monaten flexibler wird. Unverhältnismäßig seien hingegen Kürzungen um 60 Prozent oder gar die volle Leistungsstreichung.
Erfreulich an diesem Urteil ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Situation von Hartz-IV-Empfängern verbessert. Erfreulich ist auch, dass das Grundrecht auf ein einheitliches soziokulturelles Existenzminimum bestätigt und ausdifferenziert wurde. Erfreulich ist schließlich, dass das Gericht signalisiert, die Ausformung des Sozialstaates weiter kontrollieren zu wollen. Wenig überzeugend ist jedoch die Argumentationsstrategie, um die Kürzung des Existenzminimums zu rechtfertigen.
Der Autor ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Bielefeld.
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