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Auf der Lok ist man allein

Die Welt der Zugführer hat sich verändert - im Guten wie im Schlechten

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Streiks der Lokführer - neue Ausstände sind in der übernächsten Woche möglich, haben die Menschen auf der Lok mal wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Der Traumberuf von Millionen kleiner Jungen ist ein anstrengender Dienstleistungsjob geworden.
Besonders romantisch ist es schon lange nicht mehr, eine große Lokomotive zu fahren. Und stolz darauf sein? Die Deutsche Bahn, die etwa 20 000 Lok- und Triebfahrzeugführer beschäftigt, trägt nichts dazu bei, das Sozialprestige dieser Berufsgruppe zu fördern. Sie nivelliert nicht nur das Gehalt. Nach jüngsten Äußerungen des DB-Personalvorstands Margret Suckale leistet ein Lokführer nichts Besonderes, das eine bessere Bezahlung als bisher rechtfertigt. Das war nicht immer so. Deutschlands erster Lokomotivführer, William Wilson, der bei der Ludwigsbahn 1835 die »Adler« bediente, erhielt jährlich 1500 Gulden Gehalt, 300 Gulden mehr als ein Bahnvorstand. Spätere Kollegen wurden weitaus schlechter bezahlt, aber immer ließen sich die Bahngesellschaften die Verantwortung, die »der Schwarze« für Reisende und Güter trug, etwas kosten. Dafür wurden eine technische Ausbildung, solide Lebensführung, Treue zum Dienstherrn und zum Staat verlangt. Dann erst konnte man zum beamteten Lokführer aufsteigen. Das hat sich in 150 Jahren geändert, wie auch die Arbeitsbedingungen. Aus dem Führerstand mit zischenden Rohrleitungen, Manometern und Ventilen wurde der Führerraum, gestylt und klimatisiert. Alles scheint automatisch abzulaufen. Dass aber ein Triebfahrzeugführer Herr über Tausende PS ist, seinen Dienst zu allen möglichen Tageszeiten, meist in der Nacht, und bei jedem Wetter, auch sonn- und feiertags antritt, ist aber unverändert. »Das hat er gewusst, als er Lokführer wurde«, sagt Suckale. Das klingt wie: Selber schuld. Der von den Medien bemühte Vergleich mit dem Piloten hinkt aber trotzdem. Der Flugzeugkapitän besitzt in der Regel einen Hochschulabschluss, spricht perfekt Englisch, hat eine lange und teure, in der Regel von ihm selbst bezahlte Ausbildung absolviert. Auch im Flugzeug sind viele Vorgänge automatisiert, doch oft genug ist noch wie früher die Kunst des Fliegens gefragt. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Der Triebfahrzeugführer von heute muss nicht mehr Schlosser gelernt haben, die heutigen Fahrzeuge könnte er sowieso nicht reparieren. Dafür muss er Störungs- und Stromlaufpläne lesen können, wenn er der Werkstatt einen Schaden meldet. Der erlernte Grundberuf ist der »Eisenbahner im Betriebsdienst«, dem eine Schnellausbildung zum Triebfahrzeugführer folgt. Die Fahrautomatik funktioniert nur auf Hochgeschwindigkeitsstrecken, ansonsten gibt es nur wenig Hilfsmittel im Führerstand. Da ist die Sicherheitsfahrschaltung, die die geistige Anwesenheit überwacht, da ist die »induktive Zugsicherung« gegen das Überfahren von Haltesignalen. Ansonsten muss der Triebfahrzeugführer einfach hellwach sein. Er muss wissen, wo ihm welches Signal gilt, auch wenn er nicht auf den üblichen Gleisen unterwegs ist. Der Unfall am 6. Februar 2000 in Brühl zeigte, was geschehen kann, wenn ein Lokomotivführer irrt. Ein Nachtzug fuhr zu schnell über eine Weiche und entgleiste. Acht Menschen verloren das Leben, 149 ihre Gesundheit. Der Triebfahrzeugführer ist beim immer möglichen Zusammenprall der Gefahr am nächsten, und er leidet am meisten, wenn er »einen mitgenommen hat«, sein Fahrzeug einen Selbstmörder oder einen Eisenbahner überfuhr. Der »Zugbegleiter hinter ihm«, mit dem ihn Suckale kürzlich gleichsetzte, ist davon kaum betroffen. Die Züge, bei denen zwei Eisenbahner sich die Verantwortung teilen könnten, sind selten geworden. Auf der Lok ist man allein - selbst bei vollbesetzten Doppelstockzügen. 4000 Euro brutto im Jahr Differenz zum Gehalt eines Zugbegleiters sind kaum ein Äquivalent für diese Verantwortung. Zudem kommen ständig neue Aufgaben hinzu: Ticketverkauf und Grobreinigung auf den vom Personal befreiten Bahnhöfen und Zügen, die immer mehr werden. Auch als »Einstiegshilfe« für behinderte Fahrgäste und als Auskunftstelle dienen Lokführer heute. Vom Prestige eines William Wilson ist also nicht viel geblieben bei der Deutschen Bahn AG. Und so suchen sich in der Regel auch die kleinen Jungs einen neuen Traumberuf, noch ehe sie die Pubertät erreicht haben. Bei der Deutschen Bahn ist man dennoch nicht besorgt über die Frage, woher einmal der Nachwuchs für diesen nach und nach unattraktiv gewordenen Beruf kommen soll. DB-Personalchefin Suckale sagte jüngst: »Wir gewinnen ihn über die Bundeswehr.«

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