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Beschäftigte brauchen mehr Schutz
Annelie Buntenbach hat kein Verständnis für das Gejammer der Arbeitgeber gegen neue Entsenderegelungen
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort - davon können entsendete Beschäftigte im Moment nur träumen. Zum Beispiel die Elektriker aus Tschechien, die für einen großen Telekommunikationskonzern seit 2015 mit jährlich verlängerten Verträgen Mobilfunkstandorte in ganz Deutschland gewartet hatten. Sie arbeiteten 200 Stunden im Monat - rund 10 Stunden am Tag - und verdienten umgerechnet nur 3,60 Euro pro Stunde. Sozialversicherungsbeiträge, Ansprüche auf Arbeitslosengeld, ausreichender Krankenversicherungsschutz, angemessene Unterkunft: Fehlanzeige. Oder die Menschen aus den Philippinen und Peru, die über polnische Firmen entsendet wurden, um in der Fleischindustrie und im Straßentransport zu arbeiten. Ihre Schichten dauerten 14 Stunden am Tag, und am Ende zahlte der Arbeitgeber den Lohn nicht. Oft erfüllen die Arbeitnehmer die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beschäftigung überhaupt nicht. Gegen den Lohnbetrug wehren sie sich nicht - aus Angst vor Abschiebung, wegen mangelnder Kenntnis ihrer Rechte und der Sprache. Dies sind Beispiele aus der Beratungspraxis des DGB-Projekts ‚Faire Mobilität‘. Sie zeigen überdeutlich: Bei der Entsendung muss endlich mehr passieren, um die Beschäftigten wirkungsvoll vor den unlauteren Praktiken mancher Arbeitgeber und Aufnahmebetriebe zu schützen.
Dabei bietet die neue EU-Entsenderichtlinie viel Spielraum für Verbesserungen. Sie enthält beispielsweise einen neuen Entlohnungsbegriff. Unter Entlohnung fallen in Zukunft nicht mehr nur das unterste Mindestentgelt, sondern auch andere Lohnbestandteile wie die Vergütung von Überstunden, Nachtarbeit, Arbeit an Sonn- und Feiertagen oder Schichtarbeit. Vor Gericht können Beschäftigte jetzt auch alle Lohnbestandteile einklagen, wenn beispielsweise der Arbeitgeber nicht zahlt oder die Reisekosten auf die Beschäftigten abgewälzt und so ihr Lohn gedrückt wird. Er muss außerdem angemessene Unterkünfte zur Verfügung stellen - es soll Schluss sein mit dem Hausen in überbelegten Containern unter unzumutbaren hygienischen Bedingungen. Grundsätzlich müssen künftig die Kernbestandteile aller in Deutschland allgemein verbindlichen Tarifverträge angewendet werden. Die Richtlinie verspricht außerdem effektivere Kontrollen und mehr Personal für den zuständigen Zoll sowie abschreckende Sanktionen bei Verstößen.
Bis zum Sommer 2020 muss die Bundesregierung die Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Die Große Koalition muss dabei jetzt ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen, für eine deutliche Verbesserung für die Beschäftigten zu sorgen und die rechtlichen Schlupflöcher zu schließen. Die Richtlinie bietet alle Möglichkeiten dafür. Die bisher von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunkte nähren jedoch die Befürchtung, dass es hier am politischen Willen zum nötigen großen Wurf fehlt. Sie sind größtenteils vage und zu unkonkret. Die Bundesregierung muss zum Beispiel darauf achten, dass auch Unterkünfte, die nicht auf dem Betriebsgelände liegen, den neuen Anforderungen entsprechen, sonst besteht großes Potenzial für Missbrauch. Für den Transportsektor, der ebenfalls für eklatante Missstände bekannt ist, soll es überhaupt keine Verbesserungen geben. Und für die Regulierung von Kettenentsendungen, das betritt Arbeitnehmer, die mehrere Male nacheinander entsendet werden, geben die Eckpunkte ebenfalls nicht wirklich etwas her. Ein wirksames Verbandsklagerecht fehlt gleich komplett. Damit könnten Beratungseinrichtungen und Gewerkschaften bei Verstößen gegen Tarifverträge oder Mindestschutzstandards klagen und so gegen Firmen vorgehen, die immer wieder mit ihren Machenschaften auffallen. In vielen anderen Bereichen - zum Beispiel im Umwelt- und Verbraucherrecht - sind Verbandsklagen längst möglich. Im Arbeitsrecht fehlt diese Möglichkeit zur Klärung bestehender Ansprüche von Beschäftigten immer noch weitgehend. Ohne das Verbandsklagerecht bleiben die Beschäftigten auch in so erpressbarer Lage auf sich allein gestellt.
All dem zum Trotz singen die Arbeitgeber angesichts des zu erwartenden Gesetzes jetzt schon das bekannte Lied von Bürokratieaufwand und überzogener Regulierung des freien Dienstleistungsverkehrs. In den Ohren der entsandten Beschäftigten, die immer wieder in vollkommen prekären Situationen landen, kann das nur wie der reine Hohn klingen. Für sie reicht es nicht, weiter auf den Anstand der Arbeitgeber zu hoffen.
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