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Keine Fehler mehr

Nicht nur ein Fehltritt im Netz macht Emre Can derzeit zu schaffen. Im Nationalteam hofft er auf die Wende

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 5 Min.

Das neue Mannschaftsfoto ist gerade in der Villa Kennedy entstanden. Die deutschen Nationalspieler postierten sich im Foyer der Fünf-Sterne-Herberge in Frankfurt-Sachsenhausen, um mit dem Verletztenquartett Julian Draxler, Thilo Kehrer, Antonio Rüdiger und Kevin Trapp ein Zeichen der Verbundenheit zu setzen. Auf dem am Montagmorgen über die sozialen Netzwerke verbreiteten Bild sitzt Emre Can rechts außen, Bundestrainer Joachim Löw stützt lässig den Ellbogen auf seiner Schulter ab. Wer will, kann aus dem Schnappschuss gerne Symbolcharakter ableiten: Allzu gerne würde der kernige Defensivallrounder Can nämlich auch der DFB-Auswahl mal Halt verleihen.

Der Abschluss der EM-Qualifikation an diesem Dienstag gegen Nordirland in seiner Heimatstadt Frankfurt bietet sich da an, denn Löw sieht in Can einen Akteur, »der die Komponente Robustheit und Zweikampfstärke einbringt.« Die Interpretation seiner Vorzüge in der Rolle als Innenverteidiger gegen Argentinien habe ihm wirklich gut gefallen. »Er spielt eine Rolle in unseren Planungen«, sagte Löw am Montag. Sollte der 25-Jährige in der nicht ausverkauften Arena im Stadtwald zum Einsatz kommen, wäre das sein 25. Länderspiel. Gar nicht so viel für einen, den der ehemalige DFB-Trainer und heutige Fernsehexperte Steffen Freund einmal als »den komplettesten U17-Nationspieler« beschrieb, »den ich je gesehen habe«.

Sein ehemaliger Jugendtrainer bei Eintracht Frankfurt, Samad El Messaoudi, beschreibt einen Spieler, »der in jungen Jahren schon genau wusste, was er wollte.« Typ: extrem ehrgeizig, extrem dominant. Der damalige Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, Armin Kraaz, erinnert sich an ein kraftstrotzendes Eigengewächs, »das vorne und hinten war«. Seinen Wechsel bereits aus der U15 zum FC Bayern München begründete das Ausnahmetalent damals mit dem Argument, »dass er so leichter in die Premier League« käme, erzählt Kraaz. Was erst vermessen klang, ging bald beim FC Liverpool in Erfüllung. Seine Frankfurter Förderer sehen in ihm einen Vollblutprofi, »der klar in der Birne ist«.

Can wuchs als Sohn türkischer Einwanderer in der Nordweststadt auf - kein einfacher Frankfurter Stadtteil, in dem die Eltern und die Schwester wohnen. Onkel, Oma und Opa leben hingen noch im anatolischen Ort Ayfon; jedes Jahr war der Fußballer mindestens einmal dort. »Ich bin genauso Türke, wie ich auch Deutscher bin«, sagte Can einmal. Und doch können türkischstämmige Akteure in diesen aufgewühlten Zeiten leicht in vermintes Gelände geraten, wie Can vor dem EM-Qualifikationsspiel in Estland (3:0) erfuhr, als ihm genau wie Ilkay Gündogan ein Instagram-Foto seines ebenfalls bei Eintracht Frankfurt ausgebildeten Freundes Cenk Tosun gefiel. Can zog den »Like« unter der Bild mit dem »Salut-Jubel« wenig später zwar wieder zurück, doch da war es schon zu spät.

»Ich weiß, dass ich in Zukunft besser aufpassen muss«, sagte er nun im Fachmagazin »Kicker«. Intern habe man das Thema nach dem Spiel ja ausgiebig besprochen. »Zudem haben wir noch am Abend ein deutliches Zeichen für Vielfalt und gegen Diskriminierung gesetzt«, fügte er hinzu. Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff verwies in diesem Zusammenhang gerade erst wieder auf einen längst gültigen Wertekodex, der eben auch beim Umgang mit den sozialen Medien Beachtung finden müsse. »Jeder weiß, wenn ihr was mit Social Media durchführt, das hat eine Wirkung, wenn ihr bei uns seid, und Nationalspieler bist du 365 Tage im Jahr, das ist ein Anspruchsdenken.«

Bei Can, der sich in Tallinn auch noch eine Rote Karte wegen einer Notbremse einhandelte und somit zuletzt beim Pflichtsieg gegen Weißrussland (4:0) zur Untätigkeit verdammt war, ist die Botschaft angekommen. Generell durchlebt er gerade eine schwierige Phase. Seit der kauzige Italiener Maurizio Sarri bei Juventus Turin das Sagen hat, sitzt der kampfstarke Deutsche im Verein meist nur auf der Ersatzbank. Für die Champions League wurde Can erst gar nicht gemeldet, auch die Spielanteile in der Serie A sind gemessen am eigenen Anspruch zu gering. »Aber ich lerne auch aus dieser harten Zeit, in der es für mich nicht so läuft, wie ich es mir erhofft habe«, sagt Can.

Er steht in Verein und Nationalmannschaft gerade an einer wichtigen Weggabelung. In der DFB-Auswahl muss er aufpassen, dass ihn der Erneuerungsprozess nicht verschluckt. Welche Rolle kann Can beim »Umbruch im Umbruch« spielen, wie Löw die aktuelle Phase nennt? Seine Lieblingsposition im zentralen defensiven Mittelfeld besetzt Joshua Kimmich, daneben ist Taktgeber Toni Kroos gesetzt. Und rechts hinten macht Lukas Klostermann weiter Fortschritte. Seine Vielseitigkeit - an der Anfield Road tauften ihn die englischen Blätter »Mr. Versatile« - muss nicht immer ein Vorteil sein.

Als er vor vier Jahren bei einem EM-Qualifikationsspiel gegen Polen in der A-Nationalmannschaft - übrigens ebenfalls in Frankfurt - als rechter Außenverteidiger debütierte, titelte das DFB-Magazin: »Yes, he CAN«. Und doch erlebte Can die EM 2016 nur als Ergänzungsspieler, die WM 2018 fand gänzlich ohne ihn statt, obwohl er sich nach Rückenproblemen damals rechtzeitig für das Champions-League-Finale seines FC Liverpool zurückgekämpft hatte. Vermutlich hätte dieser Spielertyp in Russland, der dort ein Jahr zuvor beim Confed-Cup-Sieg für Deutschland noch eine tragende Rolle spielte, sogar helfen können. Dass Löw nun öffentlich nach mehr Körperlichkeit bis in den Bundesliga-Alltag verlangt, ist als Zeichen zu werten, dass Widerstandskämpfer wie Can mit Blick auf die EM 2020 nun auch von Löw höher wertgeschätzt werden.

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