- Berlin
- »Kein Haus weniger«
Alle vereint gegen Verdrängung
Die linke Szene hat sich in dem Bündnis »Kein Haus weniger« zusammengeschlossen
Die Prozesse und Urteile kommen quasi im Wochentakt: Am Mittwoch sollte das Räumungsurteil für die Kiezkneipe »Meuterei« in der Reichenberger Straße in Kreuzberg fallen. Der Prozess wurde »aus dienstlichen Gründen« kurzfristig auf den 23. Januar 2020 verschoben, teilten die Betreiber*innen auf Twitter mit. Erst am Dienstag hatte das Landgericht Berlin den Räumungstitel gegen die Neuköllner Kiezkneipe »Syndikat« erlassen.
Das »Syndikat«, das es seit 1985 gibt, erhielt vor über einem Jahr die Kündigung, hatte sich aber geweigert, zum Jahresende 2018 die Schlüssel abzugeben. Stattdessen hatte das Betreiberkollektiv aufgedeckt, dass hinter der Briefkasten-Eigentümerfirma Properties S.A.R.L. der Immobilienkonzern Pears Global Real Estate mit mehreren Tausend Wohnungen in Berlin steht. Das »Syndikat« läuft seit dem 1. Januar 2019 als besetzte Kneipe weiter. Am letzten Prozesstag Ende Oktober hatten die Kläger eine gütliche Einigung - eine Fristverlängerung um sechs Monate oder Verhandlungen über einen neuen Mietvertrag - abgelehnt. Die zuständige Richterin sah »keine Handhabe« (»nd« berichtete).
Am 13. Dezember soll nun das Räumungsurteil für das Friedrichshainer Hausprojekt Liebigstraße 34 folgen, am 8. Januar 2020 das für das Jugendzentrum »Potse« in Schöneberg. Dann ist die Meuterei dran.
»Wir müssen uns entscheiden, ob wir die gleichzeitige Zerstörung so vieler Orte des solidarischen Zusammenkommens, des kollektiven Lebens und Arbeitens und des widerständigen Handelns hinnehmen werden oder nicht, und was wir bereit sind dagegen zu tun«, schreiben die Betreiber*innen vom »Syndikat« angesichts dieser Verdrängungswelle.
Ein erster Schritt in eine gemeinsame Richtung ist nun gemacht: 58 Hausprojekte, Kulturzentren und Kneipen sowie 28 Organisationen haben bis zum Mittwochnachmittag den Aufruf »Kein Haus weniger« unterschrieben. Von A wie dem türkischen Verein »Allmende« über B wie die Kneipen »Baiz«, »Bandito Rosso« und »B-Lage« bis hin zu F wie »Frauenzentrum Schokofabrik« und L wie die »Luisenstadt Genossenschaft«.
Die Liste ist lang. Sie ist zugleich ein historischer Leitfaden durch die Geschichte selbstorganisierter, unkommerzieller Räume in Ost- wie West-Berlin, viele von ihnen sind schwer politisch erkämpft. Daher fordern die Unterzeichner*innen auch Maßnahmen: Sie wollen einen Bestandsschutz für alle sozialen und kulturellen Projekte sowie einen wirksamen Schutz vor Verdrängung für Kleingewerbe. Zwangsräumungen müssten sofort ausgesetzt und die »Berliner Linie«, die vorsieht, dass die Polizei einen besetzten Ort innerhalb von 24 Stunden räumen kann, aufgegeben werden. Besetzer*innen, heißt es weiter, müssten straffrei bleiben. »Ohne seine alternativen Haus- und Kulturprojekte wäre Berlin lediglich die Stadt, in der mal die Mauer stand. Sie wäre sozial, politisch und kulturell um Vieles ärmer«, schreiben die Initiator*innen.
Trotzdem lasse die Stadt den Angriff auf die alternative Kultur zu. Die Verfasser*innen des Aufrufs werfen ihr deshalb Scheinheiligkeit vor: Während bezahlbarer Wohn- und Gewerberaum immer knapper würden, stünden »mit der ›Lause‹ und der ›Köpi‹ wichtige alternative Wohn- und Projektorte unmittelbar vor einem erneuten Verkauf und damit einer ungewissen Zukunft«. Auch als »queere Hauptstadt« inszeniere sich Berlin gern, sehe aber tatenlos zu, wie ein queerfeministisches Hausprojekt rausgeworfen werde. Dabei seien die Häuser elementarer Bestandteil von Nachbarschaften: »Hier finden sich Räume für Mietberatungen, politische Vernetzung, kulturelle Veranstaltungen und Orte zum Verweilen ohne Konsumzwang.« Während Berlin dringenden Bedarf an Angeboten für Jugendliche und Sozialeinrichtungen habe, lasse man zu, dass zwei der ältesten selbstverwalteten Jugend- und Sozialzentren - die »Potse« und der »Drugstore« - verdrängt werden.
»Stadtmarketing, Ferienwohnungs᠆plattformen und Immobilienkonzerne bedienen sich der Berliner Subkultur des widerständigen und alternativen Lebens für den Verkauf eines rebellischen Images«, heißt es weiter. Aber alternative Projekte hätten nicht die Funktion einer »Fassade des Verwertungsmarktes«, sondern seien ein zentraler Bestandteil für eine vielfältige und lebendige Stadt. »Wir waren schon hier als die Kieze und Stadtteile noch nicht aufgehübscht und vermarktet wurden.« Und: »Wir werden jetzt nicht weichen, wo die Profitinteressen von Konzernen uns zu verdrängen versuchen.«
Die Liste der »Vorboten einer besseren Zukunft als solidarische Stadt«, wie es im Aufruf heißt, wächst derweil.
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