Kohlebriketts und Klimaprotest

Am Samstag haben 4000 Menschen Braunkohleinfrastruktur in der Lausitz und im Leipziger Land blockiert

  • Katharina Schwirkus, Fabian Hillebrand und Aylin Stunzman
  • Lesedauer: 5 Min.

»Ich habe noch nie erlebt, dass es so einfach war, zu blockieren«, sagt Kaya, eine Aktivistin der Klimabewegung »Ende Gelände«. Mit etwa 500 anderen Menschen steht sie auf Gleisen unweit des Kraftwerks Jänschwalde in der Niederlausitz. Die Sonne scheint, die Stimmung bei den Aktivist*innen ist gut. Immer wieder werden Sprechchöre angestimmt: »Kohlekonzerne baggern in der Ferne. Zerstören unsere Umwelt, nur für einen Batzen Geld.« Kaya heißt eigentlich anders. Sie verwendet ein Pseudonym, um keine Strafverfolgung zu riskieren. Sie war schon bei mehreren Blockadeaktionen von »Ende Gelände« dabei. Das Bündnis setzt sich für den sofortigen Kohleausstieg Deutschlands ein.

Die verschiedenen Gruppen, die Tagebaue oder Kraftwerke zu blockieren versuchen, werden als Finger bezeichnet. Nach den Gleisen unweit des Kraftwerks Jänschwalde griff der lila Finger. Einem roten Finger gelang es, ein Förderbänder im Tagebau im Tagebau Jänschwalde stillzulegen. Ein bunter Finger mit den »Anti-Kohle Kids« und anderen Aktivist*innen blockierte Gleise bei Koppatz. Der grüne Finger drang in den Tagebau bei Welzow-Süd ein und verweilte dort mehrere Stunden.

Die Lausitzer Energie AG (LEAG) gab an, sie habe die Leistung des Kraftwerks Jänschwalde wegen der Blockaden drosseln müssen.

»Ende Gelände« blockierte an diesem Tag nicht nur in der Lausitz. Der goldene Finger schaffte es, im Leipziger Revier in den Tagebau »Vereinigtes Schleenhein« der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) einzudringen. Etwa 1000 Menschen beteiligten sich an dieser Blockade. In den Fingern in der Lausitz waren jeweils etwa 500 Klimaschützer engagiert.

Insgesamt beteiligten sich aus verschiedenen Orten Deutschlands 4000 Aktivist*innen an den Aktionen. Bereits um 10 Uhr begannen an verschiedenen Stellen die Blockaden im Lausitzer Revier. Das Revier liegt teils in Brandenburg, teils in Sachsen.
Der lila Finger, zu dem Kaya gehörte, brach schon um 5 Uhr in Berlin auf. Gegen 7 Uhr stiegen die Aktivist*innen an der Station Teichland unweit des Kraftwerks Jänschwalde aus dem Zug. »Die Kraftwerke Boxberg, Schwarze Pumpe und Jänschwalde in der Lausitz sind drei der zehn dreckigsten CO2-Schleudern Europas«, sagt Nike Mahlhaus, Pressesprecherin von »Ende Gelände«. Alle drei werden von der LEAG betrieben. Das Unternehmen entstand 2016. Damals hatte der schwedische Energiekonzern Vattenfall seine deutsche Braunkohlesparte an die tschechische Energie- und Industrieholding (EPH) und deren Finanzpartner PPF verkauft. Auch die MIBRAG gehört zur EPH.

Im Vorfeld der Blockaden hatte es Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen gegeben, die von »Ende Gelände« als Stimmungsmache empfunden worden sind. Das reichte von Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) über die Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie bis hin zur rechten Szene. Vor diesem Hintergrund waren die Aktivist*innen des lila Fingers überrascht, dass sie nur auf drei Polizisten trafen, als sie vom Bahnhof Teichland in Richtung Kraftwerk Jänschwalde losliefen. Kaya war deshalb nicht die einzige, die sich freute, dass die Blockade der Gleise so leicht zu machen war. Beim Überqueren eines Ackers hatten die Aktivist*innen mit mehr Polizei gerechnet. Auch als die Blockade schließlich gegen 10 Uhr stand, verhielt sich die Polizei ruhig. Zunächst kamen zu den drei Beamten nur sieben weitere hinzu, es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis etwa 50 Polizist*innen vor Ort waren.

Zweimal rollten Lokomotiven der LEAG auf die Aktivist*innen zu und machten erst zehn Meter vor ihnen halt. Einmal stellte sich ein Polizist schützend vor die Klimaschützer*innen und wies den Fahrer an, nicht weiterzufahren. Einige Kilometer weiter, am Kraftwerk Jänschwalde, hatten sich Mitarbeiter*innen der Lausitzer Energie AG zu einer Mahnwache getroffen. Ein kleines Feuer brannte hier, Kohlebriketts wärmten die etwa 50 Teilnehmer*innen. »Wir halten hier die Infrastruktur am Laufen«, sagte einer der Kohlekumpel. »Wir setzen uns dafür ein, dass der Kohlekompromiss eingehalten wird«, erklärte Thomas Haupt. Der Ingenieur aus Berlin arbeitet seit 45 Jahren in der Kohleindustrie. »Die Menschen hier brauchen Zeit, sich umzustellen«, sagte er. In der Kohlekommission habe man sich demokratisch auf ein Ausstiegsdatum geeinigt, das gelte es einzuhalten. Der Kohlekompromiss sieht den Ausstieg aus der Braunkohle bis spätestens 2038 vor. »Ende Gelände« ist das viel zu spät. Das Bündnis möchte, dass sofort Schluss ist. Die Aktionen von »Ende Gelände« empfinde er als »nicht konstruktiv«, sagte Haupt.

Das meinte auch ein junger Sozialdemokrat. Julius Gilbert ist 23 Jahre alt und wohnt erst seit kurzem in der Gegend. Er stammt aus der weit im Westen der Bundesrepublik gelegenen Eifel, zum Studieren ist er in die Lausitz gezogen. »Wenn jeder zehnte von ›Fridays for Future‹ in die Politik gehen würde, dann könnten wir wirklich etwas verändern«, sagte er. Manchmal vermisse er bei seinen Altersgenossen die Liebe und Ausdauer zur ernsthaften, manchmal bürokratischen Politik. Ein Herr mit blauer Bommelmütze bekannte, er sei ein »Klimawandelleugner« und sagte: »Es ist eben mal ein bisschen kälter, mal ein bisschen wärmer und die Medien machen da gleich einen Weltuntergang draus.« Außerdem empfinde er es als fragwürdig, mit Einschränkungen immer in Deutschland anzufangen. »Die Afrikaner zeugen doch Kinder ohne Ende«, meinte er.

Die Mahnwache dauerte bis zum frühen Abend an. Solange blieb auch »Ende Gelände«. Etwa neun Stunden konnten durch die Blockade keine Züge mit Braunkohle zum Kraftwerk Jänschwalde durchkommen. Gegen 16 Uhr begannen die Aktivist*innen des lila Fingers, freiwillig die Gleise zu räumen. Um diese Zeit lösten sich auch die anderen Finger.
Die Brandenburger Polizei stellte nach eigenen Angaben vom Sonntag 29 Strafanzeigen gegen Kohlegegner – unter anderem wegen Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr. Die Polizei im Leipziger Land kündigte eine Strafverfolgung wegen der dortigen Blockaden an. Personalien einzelner Aktivist*innen wurde aufgenommen. Als sich die Blockade des Tagebaus »Vereinigtes Schleenhein« auflöste, wurden einige Teilnehmer*innen in eine Gefangenensammelstelle gebracht.
Zwei Aktivist*innen, die zunächst ohne Probleme die Grube verlassen konnten, wurden in der Leipziger Innenstadt festgenommen und zur Sammelstelle gebracht. Weil sie noch weiße Overalls trugen, die für »Ende Gelände« typisch sind, wurden sie als Mitstreiter*innen identifiziert. Bis zum Sonntagmorgen wurden alle entlassen. Bis dahin war die Kohle verglüht, die bei den Mahnwachen für das Lausitzer Revier brannte.

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