Werbung

Kleiner Schritt in die Hölle

Post aus Rojava: Zu Besuch in einem Gefangegenlager für Islamisten.

  • Philip Malzahn, Qamischli
  • Lesedauer: 2 Min.

Ich stehe in einem quadratischen Käfig. Hinter mir fällt eine schwere Stahltür in Schloss. Links, rechts und geradeaus Gitter, dahinter ein tiefer Saal. Noch bevor meine Augen Details im Meer aus grau und orange entdecken können, nehme ich etwas anderes wahr: Den bestialischen Geruch von Krankheit, Schweiß und Kotze. Dann beginnt mein Blick zu schweifen. Langsam kristallisieren sich einzelne Szenen heraus. Interaktionen zwischen den Hunderten, Körper an Körper liegenden, sitzenden, stehenden Menschen in Gefängniskleidung. Ich sehe einen offenen Fuß, ein dünner Arm schmiert etwas auf das entzündete Fleisch.

Dazu ist es also gekommen. Das große Kalifat, der Gottesstaat: Ein Haufen Kahlrasierter und Abgemagerter, eingepfercht im letzten Loch, die sich im Winter an eine verlauste Filzdecke klammern und an die Hoffnung, einmal noch an die frische Luft zu kommen.

»Wollt ihr die Hölle betreten?«, fragt mich der Wächter. Vielleicht hat er meinen Blick falsch interpretiert. Eigentlich nicht, sage ich, aber was soll’s. Ich übersetze, frage die anderen, und los geht’s. Auf einmal ist kein Gitter mehr da, und die Dutzenden Videos, wie ein vermummter Gotteskrieger jemandem den Hals durchtrennt und sonst in meinem Hinterkopf ruhen, sind auf einmal greifbar. Noch beängstigender ist das Geflüster unter den Häftlingen. Was sie wohl sagen? Unvorstellbar. Der Ort an dem ich mich befinde, ist es nicht. Er ist sehr real: An die 5000 Männer, alles mutmaßliche Mitglieder des Islamischen Staats, warten im Hochsicherheitsknast in al-Hasakah darauf, dass sich die Internationale Gemeinschaft einig wird, was mit ihnen passieren soll. Darauf wartet übrigens auch die Selbstverwaltung in Nordostsyrien und die Wächter, die hier arbeiten. Bislang vergeblich.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -