Anfänger mit Achtungserfolgen

Die Grünen können im sächsischen Koalitionsvertrag überraschend viele Akzente setzen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Glaubt man Hans-Georg Maaßen, haben Sachsens Schwarze am Sonntag die weiße Fahne gehisst. An dem Tag stellten CDU, Grüne und SPD im Freistaat ihren Vertrag für eine Koalition vor. Maaßen, Galionsfigur der rechtskonservativen Werteunion, fällt ein vernichtendes Urteil: Aus CDU-Sicht sei dieser ein »Kapitulationsvertrag«; die Grünen bekämen »alles, was man für den mustergültigen Umbau ... in ein grünes Vorzeigeland benötigt«. In eine ähnliche Kerbe schlägt Torsten Herbst, der für Sachsens FDP im Bundestag sitzt: Der Freistaat bekomme eine »grün-rote Staatsregierung mit einem CDU-Ministerpräsidenten«.

Jenseits der durchsichtigen Motive - die Werteunion zöge ein Bündnis mit der AfD vor; die FDP leidet daran, den Sprung in den Landtag verpasst zu haben - schwingt in den verbalen Rempeleien das neidvolle Eingeständnis mit, dass vor allem die Grünen sich in sechs Verhandlungswochen besser geschlagen haben, als mancher vermutet hatte. Die Partei verfügt in Sachsen über keinerlei Regierungserfahrung - anders als CDU und SPD, die nach fünf Jahren Koalition ein eingespieltes Team sind. Zudem lag die Ökopartei am Wahltag mit 8,6 Prozent zwar vor der SPD, verfehlte aber das angepeilte zweistellige Ergebnis, mit dem man noch mehr Gewicht auf die Waagschale gebracht hätte. Zugleich war für CDU-Chef Michael Kretschmer aber auch klar, dass man es sich angesichts der Absagen an LINKE und AfD nicht leisten konnte, die Grünen zu verprellen, ohne Neuwahlen zu riskieren.

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Die Grünen haben diese Druckposition genutzt. Das zeigt nicht nur ihr erfolgreiches Pokern um die Zuständigkeit für die Landwirtschaft, die in letzter Minute dem absehbar von Wolfram Günther geführten Ministerium für Umwelt, Energie und Klima zugeschlagen wurde - trotz absehbar wütender Proteste bei Bauern und CDU-Basis. Auch an vielen anderen Stellen des Vertrags finden sich grüne Kernforderungen. So soll der Klimaschutz als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werden (was freilich einer Zweidrittelmehrheit bedarf, für die 13 Stimmen aus der Opposition nötig sind). Geplant ist auch ein Klimaschutzgesetz. Ein Ausbauziel für erneuerbare Energien soll definiert werden; im Vertrag findet sich die Vorgabe, allein bis zum Jahr 2024 zusätzlich vier Terawattstunden vorrangig aus Windkraft zu erzeugen, was den Bau von fast 400 Windrädern voraussetzt. Allerdings wird die von grünen Umweltministern anderswo scharf kritisierte Abstandsregelung von 1000 Metern zu Wohngebäuden akzeptiert; Windräder im Wald, heißt es, »schließen wir aus«.

Scheinbar frohe Kunde enthält das Papier auch für von Abbaggerung bedrohte Dörfer. Die Koalition »möchte den Ort Pödelwitz erhalten«, heißt es; ein »rechtssicherer Weg« soll in Gesprächen mit dem Kohleförderer gefunden werden. Zwar sind sich nicht alle Grünen sicher, ob sich die Preisgabe des Ortes so tatsächlich verhindern lässt. Bei der Pödelwitzer Bürgerinitiative aber sorgt der Passus für Euphorie. Unklarer ist die Lage in der Lausitz. Dort soll es laut Vertrag keine Absiedlung geben jenseits dessen, was zum Kohlekompromiss nötig ist.

Wohlwollend dürften an der grünen Basis auch Ausbauziele für den öffentlichen Nahverkehr zur Kenntnis genommen werden: Bis 2030 soll sich dessen Anteil an den zurückgelegten Wegen verdoppeln. Die Reaktivierung von stillgelegten Bahntrassen will man prüfen. Zu den wichtigen Erfolgen im Umweltbereich gehört neben einer Halbierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 auch, dass Kommunen wieder Baumschutzsatzungen erlassen können, was als Aus für das verhasste, 2011 von CDU und FDP erlassene »Baum-ab-Gesetz« verstanden wird.

Ebenfalls als grüner Erfolg darf die Kennzeichnungspflicht für Polizisten in geschlossenen Einheiten gesehen werden. Dagegen hatte sich die CDU noch vor zwei Wochen auf einem Parteitag gesträubt. Kritisch wird intern der Kompromiss zu dem von CDU und SPD beschlossenen Polizeigesetz gesehen. Grüne und LINKE zogen vor das Verfassungsgericht. Die Koalition will dessen »Rechtssprechung umsetzen«, heißt es - mehr aber nicht. Auch das Festhalten an der Abschiebepraxis, die lediglich »so human wie möglich« gestaltet werden soll, und an der Abschiebehaft stößt auf Kritik in den eigenen Reihen und jenseits davon. »Sorry«, schrieb die Linksabgeordnete Juliane Nagel, »Abschiebungen und Humanität schließt sich aus.« Auch sie gesteht aber zu, dass Forderungen ihrer Partei wie ein Integrationsgesetz verankert seien. Ihre Fraktionskollegin Antonia Mertsching twitterte mit Blick auf den Vertrag und an die Adresse der Grünen gar: »Chapeau! Wir setzen große Hoffnungen auf euch!«

An der grünen Basis zeigen sich selbst Kenia-Skeptiker wie der Dresdner Stadtrat Johannes Lichdi »positiv überrascht«. Dass der Vertrag bei der jetzt laufenden Mitgliederbefragung durchfällt, gilt daher als unwahrscheinlich. Wie viele der auf dem Papier vereinbarten Ziele sie durchboxen, bleibt eine spannende Frage.

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