Niemand hat die Absicht, einen Vertrag zu brechen

Jene, die sich in der SPD für das Ende der Großen Koalition aussprechen, werden zu Unrecht kritisiert

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Nachdem die SPD in den Augen der konservativen Presse und der Union mal wieder Richtung Sozialismus tendiert, musste sie gleich mal klarstellen: Nur weil Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sich jetzt den Parteivorsitz teilen, ändert das an der Großen Koalition zunächst mal gar nichts. Die beiden sollen sich bloß nicht in die Idee verrennen, die schwarz-rote Regierung neu justieren zu wollen. Damit ist Essig! Linksruck ist abgesagt. Und warum? Weil es einen Koalitionsvertrag gibt!

Und der ist bindend, ist ein Vertrag. Annegret Kramp-Karrenbauer stellte in ihrer gewohnt lässigen Art nochmal heraus, dass die Union vertragstreu bleibe. Vertrag ist nämlich Vertrag. Pacta sunt servanda, wie schon die antiquierten Lateiner meinten. Dieses alte Prinzip hat bis in unser Bürgerliches Gesetzbuch ausgestrahlt. Dort regeln die Paragraphen 241 und 242 die »Verpflichtung zur Erfüllung von Schuldverhältnissen«. Die Vertragstreue ist ein so hohes Gut, dass sie selbst dann gilt, wenn sich Vertragspartner nicht schriftlich, sondern nur mündlich verpflichten.

Kein Wunder also, dass es in der Union und bei den Partei- und Hofschranzen dieses zeitgenössischen Konservatismus‘ rege Aufregung gibt. Immerhin geht es um eine geplante Vertragsbrüchigkeit. Da müssen die Aufrechten im Lande sich empören! Ein Aufstand der Anständigen ist mindestens notwendig, um die sozialistischen Sperenzchen von Walter-Borjans und Esken einzudämmen. Ist denn diesen Sozialisten gar nichts mehr heilig?

Den Vertrag gibt es gar nicht

Einen ganz kleinen Haken gibt es nun bei dieser Argumentation: Die guten Damen und Herren aus der Union steigern sich in etwas hinein. Nämlich in einen Vertrag. Einen, den es so gar nicht gibt. Na sicher doch, gemeinhin spricht alle Welt vom Koalitionsvertrag. Aber das ist nur Umgangssprache. Das hat sich irgendwann so eingebürgert. Vor einigen Jahren sprach man in diesem Zusammenhang noch eher von Koalitionsvereinbarung. Denn genau das ist diese temporäre Übereinkunft zweier oder mehrere Parteien in der Tat: Eine Vereinbarung. Eine Absichtserklärung, wie Juristen das auch zu nennen pflegen.

Mit Absichten ist das aber so eine Sache. Sie sind nun mal keine Garantie. Und eben auch kein vertragliches Sujet an sich. Wenn ich verkünde, dass ich die Absicht habe, meinen Alkoholkonsum einzuschränken, heißt das noch lange nicht, dass ich es auch tue. Ich versuche es nur, gebe mein Bestes – man tut gemeinhin auch Dinge in »bester Absicht«. Rechtsansprüche kann man da beim besten Willen nicht ableiten.

Möglich ist es allerdings auch, mit Absicht seine Absichten zu ändern. Einen Vertrag kann man nur mit einem beidseitig befürworteten Änderungsvertrag anpassen und modifizieren. Eine Absichtserklärung ist da viel geduldiger. Absichten ändern sich zuweilen – wie das Leben halt so spielt. Man kann als Partner einer solchen Erklärung natürlich versuchen auf die Erfüllung der Absichten hinzuwirken, also um Einhaltung bitten. Aber juristisch ist die Sache klar: Wenn einer nicht mehr will, hilft alles Pochen auf die Erfüllung nichts.

Worte prägen die Realität

Jetzt ist die Angelegenheit zugegeben nicht ganz einfach, denn wenn jeder politisch Interessierte im Land vom Koalitionsvertrag spricht und schreibt, hinterfragt man diesen Begriff irgendwann nicht mehr. Worte prägen auch die Realität – oder wenigstens die gefühlte Realität. Man neigt dann dazu, die Gegebenheiten für bare Münze zu nehmen. Diese laxe Haltung kann jedem passieren. Wenn es aber einem Berufsstand passiert, der prozentual stark mit Juristen besetzt ist – in der Union ist jeder vierte Abgeordnete Anwalt -, dann ist das entweder ziemlich peinlich – oder intrigantes und hinterlistiges Kalkül, um die neuen Vorsitzenden der Sozialdemokraten in Verruf zu bringen.

Irgendwie scheint alles nur noch Krise zu sein in diesem Land. Die GroKo war schon immer Krise. Dass wir jetzt auch noch die Krise der Anwaltschaft erleben, die offenbar nicht mehr fähig dazu ist, die Definitionen von Vertragsgrundlagen in ihren politischen Alltag, Arbeit und Analyse einzubinden, ist mehr oder minder tragisch. Leider haben wir Bürgerinnen und Bürger keinen richtigen Vertrag mit solchen Abgeordneten. Die Arbeit der Mandatsträger beruht leider nur auf einer Absichtserklärung. Er ist seinem Gewissen verpflichtet – und das verpflichtet zu gar nichts.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.