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Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Juso-Chef Kevin Kühnert sieht bei möglichem Austritt aus der Koalition Kontrollverlust
Kevin Kühnert präsentierte sich der Onlinegemeinde am Mittwoch betont locker. »Moinsen aus dem Willy-Brandt-Haus«, grüßte der führende Jungsozialist in schwarzem Kapuzenpullover vor der Kamera. Das Video verbreitete er über Twitter. Kühnert wollte etwas richtig stellen. In den Meldungen, in denen es im Titel hieß, dass er vor einem schnellen Ausstieg aus der Großen Koalition warnt, sah sich Kühnert falsch dargestellt. Er hatte der »Rheinischen Post« gesagt: »Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand.« Das sollten die SPD-Delegierten beim Bundesparteitag am Wochenende in Berlin berücksichtigen. »Nicht weil sie Angst bekommen sollen, sondern weil Entscheidungen vom Ende her durchdacht werden müssen«, so Kühnert.
Diese Aussage relativiere seine Ablehnung gegenüber der Großen Koalition nicht, teilte der Juso-Chef in seinem Twitter-Video mit. Er wolle den Delegierten keine Empfehlungen geben oder sie vor irgendetwas warnen.
Also alles nur ein Missverständnis, weil eine Zeitung eine besonders aufsehenerregende Überschrift gewählt hatte? So einfach ist es nicht. Dass Kühnert sich immer wieder als Kritiker der Großen Koalition positioniert hat, ist unbestritten. Allerdings hat er nun lediglich gesagt, dass er keine Angst habe, mit der SPD, wenn es sein müsse, in den nächsten drei Monaten in einen Bundestagswahlkampf zu ziehen. Für ein schnelles Ende der Koalition setzt er sich nicht ein. Die Glaubwürdigkeitsfrage an Kühnert ist berechtigt, nachdem die Jusos kürzlich bei ihrem Bundeskongress in Schwerin ein Papier beschlossen hatten, in dem es heißt, dass die Große Koalition »umgehend« beendet werden muss.
Bei einer Veranstaltung mit dem Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, hatte Kühnert kürzlich Worte gewählt, die sich indirekt als Aufforderung an die Delegierten interpretieren lassen. »Ich glaube nicht, dass die SPD während ihres Parteitags aus der Großen Koalition austreten wird«, so Kühnert. »Dann müssten wir uns alle noch mal zum Grundkurs Politikmanagement anmelden. Wenn wir das machen würden, wäre das ziemlich dämlich«, so der Jungsozialist, der sich am Wochenende zum Parteivize wählen lassen will. Seine Jusos respektierten die Entscheidung der Parteibasis zur Großen Koalition, wollten aber weiter Kritik üben und es sei »nicht absurd, die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD noch einmal zusammenzurufen und zu sehen, ob das Vereinbarte im Koalitionsvertrag wirklich alles sein kann oder ob nicht mehr geht für die nächsten zwei Jahre«, erklärte Kühnert. Genau das ist nun die Strategie der SPD-Spitze.
Das erweiterte Präsidium der Partei hatte sich bei einem Treffen, an dem auch Kühnert sowie die designierten und von ihm unterstützten Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans teilgenommen hatten, am Dienstag auf einen Entwurf für den Leitantrag an den Parteitag geeinigt. Dort heißt es nach Medienberichten, dass Gespräche und nicht Verhandlungen zeigen sollten, was in der Klimapolitik, auf dem Arbeitsmarkt und bei öffentlichen Investitionen noch zusätzlich mit der Union zu machen ist.
Die neue SPD-Führung solle in den nächsten Wochen und Monaten ausloten, ob die Sozialdemokraten »jetzt mit CDU und CSU die Weichen richtig stellen können - oder eben nicht.« Der Antrag soll am Donnerstag vom Vorstand beschlossen und dann dem Parteitag vorgelegt werden.
»Wir wollen nicht Hals über Kopf aus der Großen Koalition raus«, sagte Walter-Borjans dem »Vorwärts«. Er soll mit Esken nach dem Erfolg bei der SPD-Mitgliederbefragung am Freitag auf dem Parteitag offiziell an die Parteispitze gewählt werden.
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