Soziales Netzwerk: Behinderung für Behinderte

Wie TikTok versuchte Mobbing zu bekämpfen: Videos von diskriminierten Menschen wurden einfach versteckt.

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie werden behindert– um nicht gemobbt zu werden. Das rasant wachsende chinesische Soziale Netzwerk TikTok hat diskriminierende Moderationsregeln eingeräumt, die in einem Bericht von Netzpolitik.org aufgedeckt worden waren. Die Plattform hatte demnach ihre Moderatoren angewiesen, Videos von Menschen mit Behinderungen zu markieren und in ihrer Reichweite zu begrenzen. »Als Reaktion auf eine Zunahme von Mobbing in der App haben wir frühzeitig eine unbeholfene und zeitlich befristete Regelung umgesetzt«, sagte ein Firmensprecher dem US-Portal »The Verge«. »Unsere Absicht war gut, wir haben aber einen falschen Ansatz gewählt.« Die frühere Regelung sei inzwischen längst »zugunsten nuancierterer Anti-Mobbing-Verfahrensweisen und Schutzmaßnahmen innerhalb der App geändert« worden.

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Nach dem Bericht von Netzpolitik.org landeten auch homosexuelle und dicke Menschen auf einer Liste von »Besonderen Nutzern«, deren Videos grundsätzlich als Mobbing-Risiko betrachtet und in der Reichweite gedeckelt wurden. Der eigentliche Inhalt der Videos habe dabei keine Rolle gespielt. Als Beispiele für die betroffenen Nutzer nennen die zitierten Richtlinien »entstelltes Gesicht«, »Autismus« und »Downsyndrom«. Die Moderatoren sollten selbst im Bewertungsprozess darüber urteilen, ob jemand diese Merkmale aufweist und das Video entsprechend markieren. Dazu haben sie im Schnitt etwa eine halbe Minute Zeit.

Tiktok benutzt dabei ein subtiles System der Inhalte-Steuerung. Unliebsamer »Content« wird selten gelöscht. TikTok Nutzer laden Videos hoch, ihnen selbst werden sie auch angezeigt. Aber sie tauchen nicht in den Timelines anderer Nutzer auf. »Shadowban« wird dieses Vorgehen genannt, Moderatoren in Deutschland und Peking raten die Inhalte.

Unklar bleibt, wie lange die diskriminierende Moderationsregeln gültig waren. TikTok erklärte, die Vorschriften hätten nur in einer »frühen Phase« gegolten. Netzpolitik.org dagegen beruft sich auf eine anonyme Quelle, die gesagt habe, dass die Regeln noch im vergangenen September gegolten hatten.

Hinter TikTok steht das chinesische Unternehmen ByteDance, das die App im September 2017 auf den Markt brachte, zunächst unter dem Namen musical.ly. ByteDance gehört dem 36-jährigen Tech-Unternehmer Zhang Yiming, der laut dem Hurun-Report mit einem Vermögen von 13,5 Milliarden Dollar (12,3 Milliarden Euro) zu den derzeit 20 reichsten Chinesen zählt. Für seine Angebote in China beschäftigt ByteDance tausende Zensoren.

Vergangene Woche überschritt TikTok die Marke von 1,5 Milliarden Downloads und ist damit auf mehr Smartphones zu finden als die App des Fotonetzwerks Instagram. Nutzer können damit 15 bis 60 Sekunden lange Videos erstellen: In den Clips wird getanzt, es finden sich Parodien, Sketche und viele Schönheitstipps.

Mithilfe künstlicher Intelligenz ermittelt die App Vorlieben der Nutzer und schlägt ihnen immer weitere Videos vor, die sie dann manchmal über Stunden gebannt ansehen.

Jeder, der ein Smartphone besitzt - sei es ein Teenager in den USA oder ein indischer Slumbewohner - kann mit TikTok seine eigene kleine Geschichte in die Welt schicken und auf Publikum und Zustimmung hoffen. »TikTok-Videos funktionieren, weil sie unbearbeitet sind, Jugendliche haben dadurch einen besseren Bezug dazu - und je nach Beliebtheit verdienen sie auch Geld damit«, sagt Meenakshi Tiwari vom US-Marktforschungsunternehmen Forrester Research.

Es ist nicht das erste Mal, dass Vorwürfe gegen TikTok laut wurden. Einer lautet, die App würde zur Verbreitung von Kinderpornografie beitragen. In Bangladesh kann die App deshalb nicht mehr genutzt werden, in Indien wurde der Zugang im Frühjahr zeitweise gesperrt.

In den USA wurde eine hohe Geldstrafe gegen TikTok verhängt, weil die App gegen die Datenschutzrichtlinien für Kinder verstieß. Die US-Regierung will außerdem prüfen, ob die App Daten an die chinesischen Behörden weiterleitet.

In Indien wurde den App-Betreibern ebenfalls Zensur vorgeworfen, nachdem im Juli die Konten von vier der größten TikTok-Stars gesperrt worden waren. Sie hatten in ihren Videos den Lynchmord eines muslimischen Jugendlichen durch einen hinduistischen Mob kritisiert.

Das sich nun herausstellt, das behinderte Menschen in ihrer Sichtbarkeit eingeschränkt werden, ist perfide. Viele nutzen die Plattformen, die die Sozialen Medien ihnen bieten, um mehr Sichtbarkeit herzustellen. Das Unsichtbarmachen der vermeintlich »anderen« hat eine lange Tradition. Einst hat man versucht, Menschen mit Behinderung von der Gesellschaft zu verstecken, auch heute sorgen Pflegeeinrichtungen und Werkstätten für Sonderwelten für behinderte Menschen. Noch ein weiterer Grund, die App schleunigst wieder zu löschen. fhi mit agenturen

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